Inflationäres Podcasting

10. Juli 2005 von Wolfgang Sommergut

Der Hype um Podcasting steuert neuen Höhen zu. Definiert man wie die Wikipedia dieses Format rein formal als Technik, die Audio- und Videodateien über RSS verteilt, dann geht vieles als Podcasting durch. CNN, immer schon Produzent von Audio- und Video-Content, liefert seine Inhalte nun über RSS aus: Podcasting! Die Computerwoche lässt ihre Online-News vorlesen: Podcasting! Robert X. Cringely experimentiert seit drei Jahren mit seinem NerdTV und geht jetzt online: Podcasting! Aber war da nicht noch etwas anderes?

Die Morning Coffee Notes von Dave Winer, die bis in die Anfänge des Podcasting zurückreichen, sind spontan gesprochene Vorträge, bevorzugt von unterwegs. In ihrem Stil sind sie bewusst amateurhaft gehalten, das heißt, keine im Sprachtraining geschliffene Stimme, kein ausformuliertes Manuskript, sondern aus dem Stand formulierte Sätze mit unvermeidlichen Fehlern. Diese Podcasts haben den Charakter eines Grassroot-Mediums und verhalten sich zu kommerziellen Radio- und Fernsehstationen wie Weblogs zu Online-Publikationen der etablierten Verlage.

Vieles von dem, was jetzt als Podcasts daherkommt, hat mit dieser Idee wenig zu tun. Das mag durchaus von Vorteil sein, denn Wenige haben die Fähigkeit, interessante Geschichten zu erzählen. Hilfloses Gestammel über irgendwelche persönliche Erlebnisse dürfte kaum jemanden ansprechen. Aber auch die Podcasts der Medienunternehmen sind nicht wesentlich attraktiver, selbst wenn sie handwerklich gut gemacht sind. Wie ihre amateurhaften Pendants leiden sie unter den Defiziten von Audio-Inhalten.

Glenn Reid hat die wesentlichen Mängel von Podcasting schon vor einiger Zeit genannt: ineffizienter Konsum von Informationen (der Inhalt eines einstündigen Vortrags lässt sich in Textform wesentlich schneller erfassen), nur sequentieller Zugriff (hingegen wahlfreier bei Texten), keine Suchmöglichkeit, kein Kopieren & Einfügen und kein Verlinken auf bestimmte Passagen:

The amount of information in a one-hour block of audio can be assimilated in a very few minutes if it is read as text. Text can be accessed in any order; you can skip to the end, or rapidly scan it. You can search it, index it, copy/paste it if it’s interesting, and reference it in your blog. But audio? What do you do with that?

Demnächst dürfte auch Podcasting den Höhepunkt des Hypes überschritten. Mal sehen, was davon bleibt. Ein ähnliches Phänomen, das Foto-Blogging, scheint nach meinem Eindruck bereits auf dem Rückzug zu sein. Aber vielleicht liegt es nur daran, dass ich alle Feeds von Bildchen-Blogs abbestellt habe.

Kategorie: Medien und Web-Dienste 4 Kommentare »

4 Antworten zu “Inflationäres Podcasting”

  1. Sencer sagt:

    > The amount of information in a one-hour block of audio […]
    Dem kann ich uneingeschränkt zustimmen. Als ich Podcasts mit diesem Mindset versucht habe zu nutzen – auch noch vor dem Rechner – war es mir auch überhaupt nicht möglich dem irgend etwas positives abzugewinnen. Die Satire unter: http://www.idlewords.com/2004/08/an_audioblogging_manifesto.htm habe ich köstlich genossen und das Thema abgehakt.
    Dann habe ich einige Zeit später, als ich unterwegs war, in eins der Files reingehört und festgestellt, dass es als Unterhaltung für unterwegs wunderbar taugt. Meine Schlußfoglerung: Podcasting ist a) nicht in erster Linie zur Informationsvermittlung, sondern zur Unterhaltung und b) nicht für am-Arbeitsplatz, sondern für Unterwegs, zumindest aber für gerade-parallel-mit-was-anderem-beschäftigt gedacht. Und plötzlich hat das ganze doch seine Nische…

  2. Es gibt Informationen, die will ich _hören_. Und zwar weil mir das Lesen zu anstrengend wäre. So mache ich es mit den Nachrichten aus der Apple-Welt. Ich lese kaum Mac-Sites, dafür höre ich den MacCast (http://maccast.com) auf meinem Arbeitsweg (30 Minuten). Hier stimmt die Vergleichsrechnung Audio-Text nicht mehr. Diese Zeit nehme ich mir zum Hören, weil ich diese Informationen in dem Moment nur so bekommen kann.

  3. Das hört sich für mich an, wie der Versuch zu erklären, dass man nicht mehr auf Konferenzen gehen muss, sondern sich auch die Vorträge durchlesen kann.
    Dabei sind die Live-Vorträge spannender, weil einfach eine gewisse Stimmung und die Emotionen des Sprechers überspringen können. Das wird selten in einem Text so klappen.
    Auch könnte ich mir nicht vorstellen die Gespräche der Gillmor Gang nach zu lesen. Das hat einfach nichts.
    Auch sind mit podCast wunderbar einfach Interviews zu machen, die wesentlich mehr Stimmung bieten, als das gesprochene Wort.
    Und natürlich kommt noch hinzu, dass podcasts wunderbar für die unterwegs Unterhaltung taugen, aber das haben ja meine Vorredner (sorry Schreiber) schon bestätigt.

  4. Die Podcast-Parodie kannte ich noch nicht, ich finde ich sehr amüsant und erhellend. Darin erinnert uns Maciej Ceglowski auch daran, dass die Erfindung der Schrift vor 6000 Jahren ein wesentlicher Fortschitt gegenüber der mündlichen Überlieferung war, mit der archaische Gesellschaften ihre Wissen tradierten ;-)
    Für Podcasting gibt es bestimmt Nischen, aber die rechtfertigen den momentanen Hype sicher nicht. Die Telefonkonferenzen der Gillmore-Gang gehören zu den interessantesten Beispielen für Podcast-Anwendungen. Aber mehr als ein- oder zweimal habe ich da noch nicht reingehört, es kostet einfach zu viel Zeit.
    Misstrauisch gegenüber Medien werde ich übrigens immer dann, wenn sie ihren Nutzen vornehmlich im Flugzeug ohne Internet-Zugang, beim Autofahren oder auf dem stillen Örtchen entfalten.

    PING:
    TITLE: Is your voice really that beatiful?
    BLOG NAME: theoria
    Nachtrag zum Thema Podcast (listen to the links ;-) )
    (Danke)