Der zweifelhafte Wert von Online-News

3. August 2006 von Wolfgang Sommergut

Fast jede Online-Publikation lockt ihre Leser mit News. Die meisten Verlags-Manager sehen im Web ein ideales Medium für Nachrichten. Schließlich gebe es keinen schnelleren Weg, um Neuigkeiten an den Leser zu bringen. Print-Publikationen sollen daher eine ergänzende Funktion übernehmen und mehr Hintergrundinformationen liefern. Als reines Nachrichtenmedium seien sie aber mit dem Web nicht konkurrenzfähig, so der Tenor. Neuere Studien deuten aber darauf hin, dass die Web-User den Online-News gar nicht so viel Wert beimessen.

Eine kürzlich erschienene Studie des Pew Research Center zeigt, dass die Online-News nur eine begrenzte Leserschaft erreichen und für diese keine bedeutende Informationsquelle ist:

  • Die Zahl der Leser von Online-News hat seit dem Jahr 2000 nur mehr langsam zugenommen, besonders unter jungen Leuten.
  • Die Befragten verbrachten im Durchschnitt 32 Minuten mit der Lektüre von Online-News. Das ist deutlich weniger Zeit als der Zeitungsleser, Radiohörer oder Fernsehzuschauer im Schnitt für Nachrichten aufwendet. Während 48 Prozent aller Amerikaner mindestes eine halbe Stunde täglich vor dem Fernseher verbringen, um Nachrichten zu konsumieren, entfallen auf Online-News nur 9 Prozent.
  • Das Web dient für die Mehrzahl nicht als primäre Quelle von Nachrichten, sondern dient vor allem als Ergänzung zu anderen Medien. Selbst jene, die das Web als News-Quelle nutzen, verbringen mehr Zeit mit anderen Medien, um sich zu informieren.
  • Die meisten Nutzer von Online-News schätzen besonders die Bequemlichkeit und Geschwindigkeit des Mediums und legen weniger Wert auf Details. Nur eine Minderheit informiert sich auf den Websites von Zeitungen, es dominieren in den USA News-Dienste wie Yahoo, MSNBC oder CNN, die wichtige Meldungen laufend aktualisieren.
  • Die meisten Konsumenten von Online-News nennen als wichtigsten Vorzug des Mediums die einfache Zugriffs- und Navigationsmöglichkeit. Dieser Aspekt spielt auch für Zeitungsleser und Fernsehzuschauer eine Rolle, aber im Vergleich zu den Web-Usern legen mehr von ihnen Wert auf redaktionelle Qualität.

Robert X. Cringely widerspricht in einer seiner letzten Kolumnen der gängigen Vorstellung, dass Leser durch Online-Nachrichten besonders schnell informiert würden. Er bezieht sich dabei auf eine Studie der University of Notre Dame, wonach News durchschnittlich 36 Stunden im Web stehen, bevor sie von der Hälfte ihrer potenziellen Leser konsumiert würden. Bei Tageszeitungen betrage dieser Zeitraum hingegen 24 Stunden, weil dann bereits die nächste Ausgabe folgt. Aufgrund des seriellen Charakters von Online-News bliebe ein großer Teil der Nachrichten unsichtbar, weil nur die Top 10 oder Top 25 prominent platziert würden. Die Zeitung hingegen erlaube die parallele Wahrnehmung von mehreren Geschichten. Cringely zieht daraus den Schluss, das man als Online-Leser weniger bekomme und das auch noch später:

So the result is that those of us who rely on the Internet for our news tend to get less of it later rather than the more of it earlier that we think we do.

Als das Web noch ganz am Anfang stand, wurden Inhalte und Präsentationsformen aus älteren Medien wie Zeitungen oder Zeitschriften übernommen – darunter auch News. Je mehr es sich gegenüber diesen verselbständigt, desto mehr entwickelt es seine eigene Kultur. Dazu mögen die soziale Interaktion zählen, wie das Web 2.0 zeigt, oder langlebige Inhalte wie Enzyklopädien oder Produkttests – aber vielleicht ist das Web wirklich ein schlechter Nachrichtenkanal.

Kategorie: Medien und Web-Dienste Ein Kommentar »

Eine Antwort zu “Der zweifelhafte Wert von Online-News”

  1. Ich denke nicht, dass PEW ein realistisches Bild vermittelt was da passiert … da brauchen Sie nur die Reichweitenentwicklung der Zeitungen und Zeitschriften (aber bei den Jüngeren auch TV) zu lesen.
    Die PEW Research Center Biennial News Consumtions Studie hat für die Studie (am Telefon) ca. 3400 (oder so, siehe Seite 74ff des Reports) befragt. Zum gleichen Themenbereich hat (z.B.) die eben erschienene Forrester Research Studie „Annual Technology-Adoption Study“ 66.707 Haushalte in USA und Kanada gefragt und kommt zu ganz anderen Ergebnissen …
    (meine Weblog URL wurde als „questionable content“ nicht akzeptiert, deshalb ersatzweise meine Homepage.)