Microsofts Verhältnis zu offenen Standards

24. April 2004 von Wolfgang Sommergut

Am 21.4. lud Microsoft in München zum Presse-Abendessen unter dem Titel „Wie offen ist Microsoft? Offene Standards und Dateiformate“. Nachdem die Firma über Jahre auf dieses Thema nicht allzu viel Wert gelegt hat, versucht sie sich nun als Musterknabe offener Standards zu präsentieren. In der Praxis entscheidet Microsoft aber wie früher von Fall zu Fall, ob es bei Protokollen oder Dateiformaten anerkannten Normen folgt, proprietäre Wege geht oder Formate offenlegt. Welche Variante zum Zug kommt, hängt nach wie vor davon ab, ob sie Erfolg im Markt verspricht. Hier ein paar Beispiele inklusive Erklärungsversuchen:

  • MS Office: Seit den Anfängen von Word, Excel & Co. nervte Microsoft die Anwender und Konkurrenten mit undokumentierten, binären Dateiformaten, die sich mit fast jedem Update änderten. Im Wachstumsmarkt der 90er Jahre, in dem es noch halbweges veritable Konkurrenten gab, erwies sich dieses Vorgehen des Marktführers als äußerst wirksam. Die Migration auf alternative Office-Pakete wurde damit deutlich erschwert, weil sie die Microsoft-Dateien nicht ordentlich verarbeiten konnten.
    Seit ein einigen Jahren hat Microsoft im Office-Markt ein De-facto-Monopol und muss kaum fürchten, dass die Kunden zu einer alternativen Software abwandern. Außerdem sind Office-Programme als Tools zur Verbesserung der persönlichen Produktivität weitgehend ausgereizt. Die Anwendungen haben weit mehr Funktionen, als der Durchschnittsbenutzer je benötigt. Deshalb eröffnen sich in diesem Umfeld für Microsoft nur wenige Wachstumschancen.
    Neue Einsatzgebiete erschließen sich für Office aber, wenn es als Front-end für diverse Business-Anwendungen genutzt werden kann. Dazu zählt beispielsweise die Formularverarbeitung, das Content-Management oder die Berechnung und Präsentation von Geschäftszahlen. Damit sie dafür in Frage kommen und mit Back-end-Applikationen anderer Hersteller zusammenarbeiten, müssen sie offene Standards unterstützen. Das Zauberwort ist in diesem Zusammenhang XML, dessen Unterstützung das wichtigste neue Feature von Office 2003 war. Die Fähigkeit, XML-Daten zu lesen und zu schreiben, wurde auf der Presseveranstaltung als der Beweis für Offenheit schlechthin vorgebracht.
  • Web-Services / .NET: Seit Mitte der 90er unternahm Microsoft verstärkte Anstrengungen, mit Windows NT/2000 aus der Nische der Abteilungs- und File-Server herauszukommen und ins Rechenzentrum vorzudringen. Dort existieren typischerweise unterschiedliche Rechnersysteme nebeneinander. Zur Integration von verteilten und heterogenen Applikationen definierte die OMG den Corba-Standard, der von allen wichtigen Playern der Software-Industrie unterstützt wurde. Als einziger großer Anbieter hielt Microsoft mit COM/DCOM dagegen. Während COM unter Windows zum Standard für die Integration von Desktop-Anwendungen wurde, erwies sich DCOM als Fehlschlag. Microsoft zog daraus die Konsequenzen und trieb in enger Abstimmung mit IBM die Entwicklung einer XML-basierten Integrationstechnik voran – die Web-Services. Ein Teil der dazu gehörigen Technologien erhielt mittlerweile die Weihen eines offenen Standards (etwa SOAP)
    Unter .NET wurde DCOM fallen gelassen und Web-Services als einziger Mechanismus für die Kommunikation zwischen verteilten Anwendungen etabliert. Das .NET-Framework inklusive C# lehnte sich fünf Jahre nach dem Start von Java eng am Sun-Vorbild an. Um als spät Gekommener gegen das erfolgreiche und relativ offene Java konkurrieren zu können, reichten ein paar technischen Neuerungen alleine nicht aus. Microsoft demonstrierte daher Offenheit, reichte wesentliche Teile von .NET zur Standardisierung ein und veröffentlichte eine Referenzimplementierung der .NET-Runtime.
  • Outlook / Exchange: Etwas anders sieht Microsofts Politik bei Mail/Messaging aus. Die Firma ist ungefähr gleichauf mit der IBM Marktführer in diesem Segment. Ihr wichtigster Trumpf ist dabei die weite Verbreitung von Outlook. Exchange unterstützt zwar eine Reihe von offenen Standards wie POP3, SMTP, IMAP etc. Die volle Funktionalität kann ein Client aber nur über MAPI nutzen (etwa Public Folders oder Gruppenkalender).
    Eine relativ große Zahl der Exchange-Anwender nutzt noch die Version 5.5 und scheut vor einem Update zurück, weil es die Einführung des Active Directory voraussetzen würde. Über dieser ansehnlichen Herde kreisen schon seit einiger Zeit die Geier in Form von IBM, Oracle, Sun, Scalix etc. Sie wollen die zögerlichen Exchange-Kunden auf ihre Systeme migrieren. Eine Ablösung von Outlook kommt dabei meist nicht in Frage, für die Endbenutzer soll dieser Prozess transparent von statten gehen. Microsoft hat in dieser Situation natürlich nicht das geringste Interesse, MAPI offenzulegen. Die Konkurrenten machen deswegen alle möglichen technischen Klimmzüge, um die volle Funktionalität ihrer Systeme innerhalb von Outlook anbieten zu können.
  • Internet Explorer: Bei einem Marktanteil zwischen 80 und 90 Prozent bietet sich Microsoft nur wenig Anreiz, die unvollständige Unterstützung für DOM oder CSS schnell zu verbessern. Jeder Betreiber einer Website schaut ohnehin darauf, dass seine Seiten im IE vernünftig dargestellt werden. Anbieter von Konkurrenz-Browsern dürfen sich indes damit abplagen, alle Macken und Eigenheiten des IE nachzubauen, um nicht an zahlreichen Web-Seiten zu scheitern. Dies erhöht die Einstiegsbarriere in den Browser-Markt und hilft Microsofts Postion zu sichern.

Fazit: Für kommerzielle Software-Anbieter sind offene Standards kein Selbstzweck. Sie kommen dann zum Einsatz, wenn ihre Nutzung neue Chancen im Markt erschließt oder der Druck der Anwender entsprechend groß wird. Es ist bestimmt keine Frage von gut und böse, wie manche Verfechter von Open Source häufig suggerieren. Deren Meinungsmacht ist aber immerhin so groß, dass Firmen mit der Standardkonformität ihrer Produkte Imagepflege betreiben (und beispielsweise für diesen Zweck eine Runde Journalisten einladen).
Eine pragmatische Einstellung gegenüber Standards gilt übrigens nicht nur für Microsoft. Die IBM etwa fuhr über viele Jahre einen beinharten proprietären Kurs. Mit der Neuausrichtung des Unternehmens auf Services unter Lou Gerster wurde es zum Prediger offener Standards. In ihrer Rolle als Integrator heterogener Systeme war die IBM (und die 1996 gegründeten Global Services) massiv daran interessiert, dass die eigene Software mit jener anderer Hersteller zusammenarbeiten konnte. Weder bei IBM noch bei Microsoft wurden böse Manager zur Tugend offener Standards bekehrt, vielmehr sprachen in beiden Fällen handfeste wirtschaftlich Gründe dafür.

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