Der Trend zum Tiefen-Blogger

14. August 2007 von Wolfgang Sommergut

Mehrere Autoren hinterfragten in letzter Zeit ihre bisherige Blog-Praxis, möglichst viele Postings über aktuelle
Ereignisse zu publizieren. Ein Freizeitschreiber hechle – so der Tenor – trotz einer hohen Schlagzahl den zahlreichen News-Sites hinterher und könne sich dabei mit den Themen nicht so eingehend beschäftigen, um dem Leser über die bloße News hinaus einen zusätzlichen Wert zu bieten. Robert Basic möchte neben seinem Blog ein weiteres Projekt starten, das sich eingehend mit bestimmten Themen beschäftigt, Thomas Frütel vom Webmaster-Blog will wie Steve Rubel weniger, aber dafür aufwändigere Beiträge schreiben. Woher der plötzliche Sinneswandel?

Interessant finde ich an dieser Neuorientierung, dass in ihrem Zuge ähnliche Diskussionen geführt werden wie in den traditionellen Medien Ende der 90er-Jahre. Die zunehmende Popularität des Web als Nachrichtenmedium machte damals jedem klar denkenden Journalisten klar, dass das reine Melden eines Sachverhalts zukünftig nicht mehr ausreichen würde, um Leser zu gewinnen. Viele Redaktionen zogen seinerzeit den Schluss, dass sie sich mehr auf Analysen, Hintergründe und exklusive Geschichten konzentrieren müssten. Bei der Umsetzung dieses Vorsatzes zeigte sich indes, dass bei einem vorgegebenen Mengengerüst die Zahl der tiefschürfenden Beiträge begrenzt bleiben muss. Den Spagat zwischen Update-Frequenz und Qualität müssen nun auch die zu Tiefen-Bloggern konvertierten Autoren machen, wobei ihnen weit weniger Ressourcen zur Verfügung stehen als den meisten Redaktionen.

Als Begründung für die Umorientierung gibt Thomas Frütel in Übereinstimmung mit Steve Rubel unter anderem den Einfluss von Nano-Content an, besonders die Auswirkung von Twitter. Die schnellen und kurzen Textbotschaften machten News-Postings überflüssig. Nach meiner Auffassung überschätzen sie dabei den Zwitscher-Dienst, den bis dato nur ein relativ kleiner Teil der Web-Benutzer in Anspruch nimmt. Ich selbst hatte mit der Verbreitung von Social-Bookmark-Diensten vor zwei Jahren ähnliche Veränderungen für das Bloggen prognostiziert, wie sie nun als Folge von Twitter gesehen werden. Viele reine Link-Blogs verschwanden wie von mir vorhergesehen, allerdings nur, um als delicious-Bookmark-Postings aufzuerstehen. Ein ähnliches Phänomen kann man mittlerweile bei Twitter-Nachrichten beobachten, die Blogger über Plugins in ihre Websites füttern.

Als Begründung für eine Neuorientierung kann ich die von Robert Basic angesprochenen Abnutzungseffekte besser nachvollziehen. Im Hamsterrad des News-Schreibens bleibt keine Zeit, sich mit bestimmten Sachgebieten eingehend auseinanderzusetzen. Breites Themenspektrum und geringer Tiefgang laufen dem Trend zu fokussierten Publikationen entgegen, Spezialiserung ist das Mantra aller Pro-Blogger und SEO-2.0-Advokaten. Wer zu allem ein bisschen zu sagen hat, gerät zunehmend gegenüber den Spezialisten ins Hintertreffen. Wenn ich meine eigene Blogroll betrachte, dann finden sich unter den englischsprachigen Weblogs schon lange überwiegend solche, die man neuerdings als Tiefen-Blogger bezeichnet. In der deutschen Blogosphere fällt mir seit einiger Zeit auf, dass sich immer mehr neue Autoren ebenfalls auf bestimmte Themen konzentrieren. Diese Entwicklung kann dem deutschen Web nur guttun, auch wenn die Katzen- und Motzblogs der ersten Stunde weiter ihre Fans haben werden.

Kategorie: Weblogs und Wikis 6 Kommentare »

6 Antworten zu “Der Trend zum Tiefen-Blogger”

  1. Quasi eine „Professionalisierung“ der Themen.

    Auf der einen Seite sicher gut für die Inhalte, denen jetzt mehr Zeit gegeben wird, auf der anderen Seite aber auch schade, weil es doch gerade das „Unprofessionelle“, die persönliche Note, Blogging so interessant gemacht und ausgezeichnet hat.

  2. @Sascha: Ich sehe keinen direkten Widerspruch zwischen „Professionalität“ und persönlicher Note.
    Im Gegenteil, bei hintergründiger und ausführlicher Betrachtung eines Themas kann ich meine persönlichen Sichtweisen doch viel besser einbringen, als wenn ich nur über Newsitems berichte.

  3. Die Auswahl der Newsitems zum Beispiel ist sehr persönlich. Steht der Blogger eher rechts oder eher links, argumentiert er oder liefert er Argumente für oder gegen X bzw. Y. Je mehr Newsitems Du postest, desto besser lernt man Dich kennen und kann Dich einschätzen. Ich kann aus den knapp 50 Feeds in meinem Reader die Autoren (auch bei Gruppenblogs) an den Titeln ihrer Einträge erkennen.

    Diese persönliche, unprofessionelle, weil nicht direkt mit einer Kernkompetenz/Kernthema verbundene, Note, die wird dann fehlen, wenn Blogautoren zu Fachartikelschreibern werden.

    Natürlich ist meine Sicht der Dinge überspitzt ;)

  4. ben_ sagt:

    So sehr ich die Entwicklung zu intensiverer Auseinandersetzung und Tiefenblogging auch gut heiße, so unbeschönigend muss ich doch meine eigenen Lesegewohnheiten beurteilen: mehr als vier Absätze pro Beitrag sind i.d.R. zu viel. RSS hat uns ungeduldig gemacht.

    Nun muss Tiefenbloggen ja nicht längere Beiträge zur Folge haben. In dem Fall stellt sich die Frage sich Frage, für wen schreibt man eigentlich. Ich weiß aus dem Feedback in meinem Blog, dass gut 50% der Inhalte für die meisten Leser zu komplex und spezialisiert sind.

    Und um mal noch was eigenes Beizutragen. „Früher“ waren Blogs v.a. sehr persönlich. Ich habe das Gefühl, dass das in den letzten Jahren sehr zurückgegangen ist, und viel Blogs sich und Art der Schreibe und Auswahl der Inhalte deutlich dem Journalismus angenähert haben. Die hohen Veröffentlichungsfrequenzen vieler ambitonierter Blogger begreife ich mal als Unstützung dieser These. Deshalb würde ich mich freuen, wenn Tiefenbloggen nicht nur die thematische, sondern auch persönliche Tiefe bedeuten würde.

  5. […] – wie immer ausführlich – über den neuen Trend zum Tiefenbloggen und verweist dabei auf Wolfgang Sommerguts Beitrag zum gleichen Thema. Man kann das ganz gut zusammenfassen in dem man sagt: Weniger Beiträge, längere und […]

  6. Was ich schon immer schade fand ist, dass viele kurze Beiträge mit Links ein Blog deutlich erfolgreicher werden lassen als längere Artikel.

    Das dürfte der Grund sein, warum es so viele Hobby-Presse Blogs gibt. Wenn jetzt ein Umdenken stattfindet kann ich das nur begrüßen.

    Meine Blog Artikel sind in der Regel eher tiefgehend, ich fülle nur den Feed ab und an mit „Links“ wenn ich diese a) aufbewahren möchte oder b) schon zu lange kein Update erfolgte.

    Gruss
    Bernd

    PS: aber man sieht ja auch an dieser kurzen „Meldung“ dass diese gut als Katalysator für eine Diskussion funktionierne kann, von daher ist das auch nicht ganz verkehrt den Zeitgeist niederzuschreiben.