Daten unter der Matratze
7. Februar 2007 von Wolfgang SommergutHeute gab Google eine der seltenen Pressekonferenzen. Das Unternehmen setzt zumindest hierzulande nicht so sehr auf die herkömmliche Medienarbeit. Der eigentliche Anlass war die Freigabe eines deutschsprachigen Java-Handy-Clients für Google Mail, die Öffnung des Mail-Service für jedermann auch ohne Einladung sowie die Eindeutschung von Docs & Spreadsheets (die heißen bei uns nun „Text und Tabellen“). Auch wenn das Java-Frontend für Mobiltelefone eine sehr interessante Anwendung ist, fand ich ein paar andere Dinge auf der Veranstaltung nicht weniger anregend.
Letzte Woche besuchte ich Microsofts Launch Event für Vista und Office 2007 in München. Die Sprecher auf der Pressekonferenz beschworen den Benutzer als Mittelpunkt der neuen Windows-Version, die Technik spiele nur mehr eine untergeordnete Rolle. Ob er Texte schreiben, Fotos, Videos und Musikstücke verwalten, fernsehen oder spielen wolle, Vista sei das universelle Werkzeuge für ihn. Die heutige Präsentation von Google hätte nicht gegensätzlicher sein können. Dort zeichnete man erneut die Vision von einer Arbeitsweise, bei der Anwendungen als Dienst bezogen werden und die Benutzer alle ihre Daten im Internet speichern.
Gerade die Vorstellung, sämtliche Informationen einem Internet-Dienstleister anzuvertrauen, ist den meisten Zeitgenossen nach wie vor nicht geheuer. Um Befürchtungen hinsichtlich Datenschutz und Privatsphäre entgegenzutreten, ließen sich die Google-Leute einen schicken Vergleich einfallen: Früher hätten die Menschen den Banken misstraut und ihr Erspartes lieber unter der Matratze aufbewahrt. Heute sei es selbstverständlich, dass man Geld nur mehr virtuell in Form von Zahlen auf einem Kontoauszug besitze. Genauso werde sich die Einstellung gegenüber der Datenhaltung verändern, man benötige in Zukunft nicht mehr Hardware, die Dokumente lokal abspeichert.
Die Präsentation von „Text & Tabellen“ zeigte einige Vorzüge solcher Online-Anwendungen auf. Ich hatte zwar schon ein bisschen mit diesen Tools gespielt, aber alleine und nicht in Zusammenarbeit mit anderen – und darin besteht ihre Stärke. Nach meiner Einschätzung handelt es sich bei den Web-basierten Office-Applikationen um eine disruptive technology in dem Sinne, wie sie Clayton Christiansen in seinem Business-Buch „Innovator’s Dilemma“ charakterisiert hat. Eine neue Technologie ist demanch in einem frühen Stadium der etablierten Konkurrenz unterlegen, bietet aber Perspektiven, die weit über das Bekannte hinausgehen. Ein Beispiel dafür ist der PC, der bei seinem Erscheinen vor 25 Jahren im Vergleich zur etablierten Midrange-Konkurrenz wie die VAX ziemlich mickrig aussah. Kunden bestärkten DEC darin, an den bisherigen Systemen festzuhalten, weil ein PC für ihre Anforderungen nicht ausreichend sei. Sobald die neue Technologie zur etablierten aufschließt, schaffen die Anbieter der altbewährten Ansätze den Umstieg meistens nicht mehr, weil sich bereits neue Player im Markt festgesetzt haben.
Im Fall der Büroanwendungen hört man immer wieder die Einschätzung, die Online-Tools seien keine ernsthafte Alternative zu MS Office. Der Funktionsumfang sei viel zu gering, nicht mal Fußnoten oder automatisch erstellte Inhaltsverzeichnisse gäbe es dort. Wenn man aber sieht, wie mehere Autoren mit einem Online-Office zusammenarbeiten können, dann schwant einem, welche Möglichkeiten sich da eröffnen: kein Hin- und Herschicken von Office-Dokumenten als Mail-Anhänge, eine Benachrichtigung mit Link auf den Text oder die Tabelle reichen. Auch Versionskonflikte gehören der Vergangenheit an, weil Änderungen durch einen weiteren Autor bei allen Bearbeitern in Echtzeit angezeigt werden. Und die Integration mit Kommunikations-Tools bietet die Möglichkeit, sich via Chat über einen Text zu unterhalten, den man gerade gemeinsam bearbeitet. Nach der Übernahme von Jotspot durch Google zeichnet sich ab, dass die Online-Editoren als Autorenwerkzeuge für Wikis dienen werden. Man vergleiche dies mit Desktop-Programmen, bei denen man nur flache Dokumente erzeugt, diese in Projekten zumeist per Mail abgestimmt werden und bei denen die Integration mit Tools zur synchronen Kommunikation nur rudimentär ausfällt.
Man kann sich nun überlegen, wie die Vertreter der jeweiligen Ansätze die Vorzüge des Konkurrenzmodells kompensieren können: Fällt es Google & Co. schwerer, zusätzliche Features einer Textverabeitung nachzurüsten oder Microsoft, die immanenten Beschränkungen des Desktop-Modells zu überwinden?
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