Dürfen Online-Texte nachträglich verändert werden?
14. Mai 2004 von Wolfgang SommergutFür Autoren in Print-Publikationen stellt sich eine derartige Frage nicht: Ist die Druckerschwärze erst einmal auf dem Papier, müssen sie für den Text gerade stehen. Ist etwas schief gelaufen, kann eine Zeitung oder Zeitschrift nur mehr eine Richtig- oder Gegendarstellung nachschieben. Anders sieht es natürlich bei Online-Texten aus: Entdeckt man nach ihrer Veröffentlichung Aussagen oder Formulierungen, die man der Öffentlichkeit lieber vorenthalten will, dann liegt es nahe, den betreffenden Beitrag nachträglich zu glätten. Es kommt aber selten gut an, wenn man sich dabei erwischen lässt.
Die Entrüstung oder Schadenfreude darüber, einen im nachhinein geschönten Text aufgespürt zu haben, entstammt oft der Wertvorstellung, dass man als Autor zu einem bereits publizierten Texte stehen müsse. Die Chance, dass solche Machenschaften entdeckt werden, steigt mit der Verbreitung von Diff-Tools für HTML, vor allem wenn sie in RSS-Reader wie NetNewsWire integriert sind.
Blöd gelaufen: Die Google-Blogger ließen sich schon bald beim nachträglichen Glätten von Einträgen erwischen |
Besonders in der Blogosphere gilt es als unredlich, Einträge nachträglich zu verändern. Als adäquate Reaktion auf Kritik oder fehlerhafte Inhalte wird dort erwartet, dass der Autor seine Position in angehängten Kommentaren erläutert oder vielleicht sogar aufgibt. Neben dieser Blogger-Netiquette gibt es handfestere Argumente, warum das Redigieren eines Beitrags nur vor dessen Veröffentlichung stattfinden sollte. Im Web stehen Beiträge nicht für sich alleine, sondern sind Beiträge Teil eines riesigen Hypertext-Corpus. Wenn sich eine externe Seite auf eine bestimmte Passage eines Online-Textes bezieht oder diesen womöglich zitiert, dann zerstört das nachträgliche Retuschieren möglicherweise den inhaltlichen Zusammenhang zwischen den Texten. Das Nachbessern von Veröffentlichungen entwertet sie mithin als verlässliche Quelle.
Die Vorstellung, dass man im Online-Medium alles nachträglich ändern könne und daher weniger Sorgfalt walten lassen müsse, ist auch aus anderen Gründen unberechtigt. Wurde eine Seite erst mal von einer Suchmaschine indiziert, kann die ungeliebte Version dort noch länger im Cache weiterleben.
Diese Erwägungen gelten natürlich nur für Texte, die ein Autor beliebig editieren kann. Diese Möglichkeit kann zum leichtfertigen Publizieren ermuntern. Merkwürdigerweise finden sich unbedachte Schnellschüsse aber besonders oft in Blog-Kommentaren, in Foren und im Usenet, wo es kein Zurück mehr gibt. Derartige geistige Produkte bleiben dann meist über viele Jahre erhalten. Wenn die Äußerungen dann noch mit vollem Namen gezeichnet werden, kann es unangenehm werden: Jeder halbwegs ausgeschlafene Personalchef googelt heutzutage nach den Namen von Bewerbern.
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Aber sicher: Das ist das Wesen von Online-Texte. So wie es das Wesen von Radio-Nachrichten ist. Wer einmal B5 mehr als eine Stunde am Stück gehört hat, weiss die Iteration des Inhaltes zu schätzen. Fehler verschwinden, Schwerpunkte arbeiten sich heraus und neue Ereignisse fliessen ein. Was als Qualität eines Printtextes gesehen wird halte ich für dessen Nachteil, die „Ausgabe letzter Hand“ wird zum „Shockfreeze durch Redaktionsschluss“…
Das Optimieren finde ich auch in Ordnung (wie war der Spruch: „wer will mich daran hindern, klüger zu werden?“, allerdings sollte es dann zur Netiquette gehören, die Änderungen auch in irgendeiner Form kenntlich zu machen [Ideal wäre vermutlich ein öffentlicher Zugriff aufs Versionsmanagement des CMS :) ] . Ich bin ohnehin der Meinung, dass Texte viel mehr als etwas dynamisches gesehen werden sollten, die – vergleichbar mit Software – in unterschiedlichen Versionen vorliegen und immer besser & reifer werden können. Vielleicht nicht alle Texte, aber besonders grundlegende, mühsam erstellte Inhalte, die man nicht einfach so veralten lassen sollte.
Natürlich darf ein Text wachsen (quantitiv wie qualitativ), siehe Wikipedia.
Kehrt sich aber die wiedergegebene Meinung oder Aussage um 180 Grad um, sollte man dies sichtbar machen – zum Beispiel durch Publikation des neues Textes als neuen Text – und dazu stehen.
Davon abgesehen: Schon in der Grundschule hat man gelernt, Aufsätze erst nochmal durchzulesen, ehe man sie abgibt. Das gilt uneingeschränkt auch für Texte, die im Internet veröffentlicht werden – und ganz nebenbei auch für das Usenet und E-Mails.
Dieses Problem (im gaaaanz klein ;) ) haben wir auch auf phpBB.de. Daher: http://www.phpbb.de/topic53114.html
Den Hinweis auf Wikis finde ich in diesem Zusammenhang interessant. Selbst wenn dort seriös gearbeitet wird, was taugen sie als Quelle? Beispiel Wikipedia: Trotz der meist hochwertigen Inhalte kann ich in einer „ernsthaften“ Publikation oder einer wissenschaftlichen Arbeit kaum darauf verweisen. Wer weiß, was da in ein paar Monaten drin steht? Die von Wolfgang Büscher vorgeschlagene Versionierung muss in diesem Fall derjenige übernehmen, der sich auf den Text bezieht – also die zutreffende Fassung auf seiner eigenen Site speichern.
@Harald: Ich gebe dir Recht, dass Online-Texte bei jedem Durchgang besser werden können und gedruckte Texte eine solche Weiterentwicklung kaum zulassen. Nur: Wieviel des Reifeprozesses sollte vor und wieviel nach der Veröffentlichung stattfinden? Die Versuchung, schnell was ins Web zu stellen, weil man es ja nachher eh korrigieren kann, führt unweigerlich zum Bananenmodell aus der Softwareindustrie („reift beim Kunden“). Aber vor allem bleibt das Problem: Wer einen solchen halbgaren Text auf einer externen Seite kritisiert, steht nachher blöd da, weil der Autor der betreffenden Inhalte sein Werk bereits geglättet hat.
Wie würdest du auf eine Kritik reagieren, wie sie an den Google-Bloggern geübt wurde, wenn dein Arbeitgeber einen heiklen Text nachträglich aufpoliert hat? Einfach als unberechtigt abtun?
Zum Thema Wiki, bzw. Wikipedia und darauf als Quelle verweisen: Martin Röll hat mir von einem Experiment in einem seiner Vorträge erzählt. Dort haben die Seminarteilnehmer in der Wikipedia auch einen Artikel verunziert. Martin hat zusammen mit den Seminarteilnehmern etwa 5 Minuten warten müssen, bis der richtige Inhalt wieder hergestellt war. D.h. Wikipedia ist wohl eine Quelle auf die man sich doch recht verlassen kann, denn sie wird von einer wesentlich größeren Anzahl von Beobachtern begutachtet, als das vielleicht bei anderen Publikatinen der Fall ist.
Natürlich kann es damit immer noch passieren, dass man gerade den falschen Augenblick erwischt. Aber wie ja oben auch schon diskutiert, Texte als dynamisch anzusehen, halte ich für recht sinnvoll, auch in Bezug auf die Entstehungsgeschichte von Texten, wie das ja bei den Artikeln in der Wikipedia über die History Funktion recht schön zu beobachten ist.
Das sollte Schule machen.