Gibt es eine Blog-spezifische Form des Interviews?

14. Januar 2005 von Wolfgang Sommergut

Gizmodo, The Gadgets Weblog, publizierte den vierten Teil seines Interviews mit Bill Gates. Es ist schon ungewöhnlich, dass ein derart begehrter Gesprächspartner einem Blogger Rede und Antwort steht. Der Microsoft Monitor vermutet, dass Gates damit einen PR-Versuchsballon steigen ließ. Interessant finde ich die Bewertung des Textes durch den MS-Monitor.

Der Autor lobt die Tatsache, dass das Gespräch einfach nur abgetippt und weitgehend unredigiert veröffentlicht wurde. Dies sei die für einen Weblog angemessene Form – vermutlich weil sie authentischer wirke. Und Authentizität soll ja ein wesentliches Kriterium für Blogs sein. Ich halte diese Sicht aus mehreren Gründen für blauäugig:

  • Gesprochene Sprache eignet sich gewöhnlich nicht zum Lesen, selbst wenn jemand druckreif formuliert. Die Übersetzung in eine mediengerechte Form, wie sie im Journalismus seit eh und je stattfindet, dient dem Leser und dem Interviewten. Selbst ein viertelstündiges Gespräch ist viel zu lang, um vollständig gedruckt zu werden. Wenn der Gesprächspartner Bill Gates heißt, sind die Leser vielleicht noch zur Lektüre des ganzen Textes bereit, in dem meisten Fällen verabschieden sie sich nach drei Absätzen.
  • Interviews springen oft zwischen mehreren Themen. Um dem Leser die wesentliche Gedanken und Aussagen leichter zugänglich zu machen, ist es nützlich, vom Verlauf des Interviews abzuweichen und es in eine neue logische Abfolge zu bringen.
  • Interviews passen nicht besonders gut zu Weblogs – zumindest ziehe ich diesen Schluss aus der Tatsache, dass in der Blogosphere fast nie welche veröffentlicht werden. Kommentare und Trackbacks bieten ein Maß an Interaktion, das scheinbar nur wenig Bedürfnis nach Interviews entstehen lässt.
  • Die Forderung nach authentischer Schreibweise ist gefährlich. Sie mag angebracht sein, wenn ich persönliche Befindlichkeiten beschreiben will. Aber bei der Darstellung von Sachverhalten zählen Wahrhaftigkeit und Sorgfalt.

Kategorie: Weblogs und Wikis 4 Kommentare »

4 Antworten zu “Gibt es eine Blog-spezifische Form des Interviews?”

  1. Martin Röll sagt:

    Als Leser finde ich per E-Mail geführte und dann gebloggte Interviews oft recht interessant (und zwar nur die, in denen Frage und Antwort hin und hergehen – nicht die, bei dem der Interviewte einen Fragenkatalog bekommt und dann alles auf einmal beantwortet!): Die Sprache ist irgendetwas zwischen gesprochener und Schriftsprache. Sie ist klar genug um gut lesbar zu sein, aber auch noch informell genug, um einen Einblick in die Persönlichkeit des Interviewten zu geben. Es kann auf externe Quellen verwiesen werden – sowohl in Fragen, als auch in Antworten. Dadurch, dass auch der Fragende Zeit hat seine Fragen zu formulieren, werden Wiederholungen und Abschweife vermieden.
    Als Autor habe ich das mal hier [1] versucht – ob es mir gut gelungen ist, weiß ich nicht – das Feedback war, gelinde gesagt, spärlich. ;-)
    [1] http://www.roell.net/weblog/archiv/2004/01/15/interview_mit_stefan_smalla_friendity.shtml

  2. Dein Interview liest sich nicht, als sei es eins zu eins vom Band abgetippt worden – also nicht authentisch ;-) Aber wenn man ein Gespräch auf Englisch führt und auf Deutsch niederschreibt, dann muss man ohnehin stark in den Text eingreifen. Im Übrigen glaube ich, dass es keine Blog-spezifischen Formen des Interviews gibt.

  3. Martin Röll sagt:

    Andersrum war’s: Auf deutsch geführt, später (von Stefan) auf englisch übersetzt. Stefan hat sich manchmal etwas Zeit mit dem Antworten gelassen, deshalb klingt er stellenweise arg nach PR (finde ich). Die Fragen und Antworten sind original aus der E-Mail übernommen und nicht geändert worden.

  4. Ach so, ich habe die deutsche Fassung gelesen, das hat mich irritiert.
    Per Mail geführte Interviews haben natürlich den Vorteil, dass sie schon kompakter und besser strukturiert sind, das „Rauschen“ der mündlichen Konversation fällt da weg. Deswegen muss man auch nicht aus diversen Gesprächsfetzen ein fiktives Interview komponieren. Allerdings geht dabei auch einiges an Spontaneität verloren, schnelle Rückfragen können den Interviewten natürlich nicht unter Druck setzen.
    Aber trotzdem vertrete ich auch bei E-Mail-Interviews den Standpunkt, dass man zugunsten der Lesbarkeit in den Text eingreifen muss. Im Falle deines Beitrags (wenn du mir diese „Blattkritik“ erlaubst) kommen die spannenden Fragen erst in der zweiten Hälfte ( = zu spät). Die typische „Aufwärmphase“ in einem Interview bringt meist nicht viel, sie ist aber oft für die Entstehung einer Gesprächsatmosphäre notwendig. Ich hätte die ersten 3 Fragen gestrichen. Außerdem sind einige der Antworten deutlich zu lang, speziell am Anfang. Ich vermute, dass die meisten Leser deswegen schnell abhauen und die „Nuggets“ in der zweiten Hälfte des Interviews nicht mehr finden.
    Firmenvertreter neigen natürlich oft zur monologartigen Selbstdarstellung, aber bei der schriftlichen Wiedergabe eines Interviews kann man ja glücklicherweise den Rotstift ansetzen :-) Aber dein Interview (sieht man vom Anfang ab) ist m.E. auch nicht PR-mäßiger als das, was man in vielen Zeitungen liest.
    Ich fühle mich jedenfalls in meiner Auffassung bestätigt, dass die grundlegenden Interview-Techniken überall gelten. Wenn man in Blogs auf eine besonders „authentische“ Form besteht, dann sind etweder die Leser schnell weg, weil die ungefiltert übernommene gesprochene Sprache ungeniesbar ist. Oder man läuft Gefahr, dem PR-Sprech vieler Firmenrepräsentanten wiederzugeben.