Gretchenfrage für Blogger: Viel Nano-Content oder wenige Perlen?
29. Dezember 2004 von Wolfgang SommergutChris Anderson bringt ein gewichtiges Argument vor, warum es im Zeitalter der RSS-Aggregierung besser ist, wenige gute Inhalte zu publizieren anstatt zahlreiche nicht so interessante Postings. Wenn man nämlich Abonntenten für seinen Feed gefunden hat, bleiben sie der Site viel länger treu als Besucher der Homepage:
In a subscription age, where publishers don’t have to entice you back each day with a flood of new content, quality trumps quantity. Once they’ve won you as a RSS subscriber, it requires an active decision on your part to unsubscribe. This puts a premium on the thoughtful post, no matter how infrequent, and discourages floods of random miniposts designed to drive return traffic.
Gegen solche Überlegungen spricht scheinbar die immer wieder vorgebrachte Theorie von der Pareto-Verteilung elektronischer Inhalte (die Rede ist auch vom „Long Tail„). Die zentrale Idee dabei ist, dass es sehr wenig kostet, digitalen Content zu publizieren und vertreiben, so dass auch absolute Nischenthemen und marginale Zielgruppen bedient werden können. Wenn ein MP3-Musikstück oder ein E-Book nur ein paarmal im Monat verkauft werden, dann lohnt sich das auch noch – eine kostspielige Lagerhaltung oder einen aufwändigen Versand gibt es dafür ja nicht. Im Ergebnis verteilen sich die Umsätze (auch die Werbeeinnahmen) über eine große Zahl von Titeln und nicht bloß auf ein paar Bestseller und Hits.
Die Pareto-Verteilung würde nahelegen, möglichst viele Inhalte online zu stellen, weil es auch für weniger interessante Themen Abnehmer gibt. Im Fall von Weblogs kommt allerdings hinzu, dass die Blogosphere als Filter fungiert, der interessanten Texten viel Aufmerksamkeit verleiht und Banales und Obskures durch den Rost fallen lässt. Daraus sollte man jedoch nicht schließen, dass in der Blogosphere kein Platz für Nischenthemen wäre. Gute Texte finden ihre Leser, auch wenn sie nur eine kleine Zielgruppe ansprechen. Ausgefiltert werden hingegen die vielfach redundanten random miniposts
, die bloß Nachrichten aus den Mainstream-Medien wiedergeben.
RSS und Long Tail sind nach meiner Meinung kein Widerspruch. Egal ob es um Randthemen geht oder Geschichten für ein breites Publikum, auf Dauer zählt Qualität (das mag naiv klingen, wenn man sich beim Fernsehen die verheerenden Wirkungen der Quote ansieht) – Abonnenten eines RSS-Feeds legen darauf Wert, egal ob ihre Interessen im Mainstream oder ganz hinten im Long Tail liegen.
Ideal wäre natürlich, zahlreiche und hochwertige Texte zu veröffentlichen. Angesichts knapper Ressourcen scheidet diese Option im Allgemeinen aus. Das betrifft nicht nur Blogger, die üblicherweise nur ein bisschen Freizeit investieren können, sondern auch die immer stärker ausgezehrten Redaktionen traditioneller Medien. Somit muss man sich normalerweise zwischen zahlreichem Nano-Content und wenigen hochwertigen (selbstrecherchierten?) Texten entscheiden, wenn man im Web publiziert.
Der Jahreswechsel ist eine gute Gelegenheit, sich als Blogger zu fragen, welche Ziele man in den nächsten 12 Monaten erreichen will. Ich möchte versuchen, den Anteil der News zu reduzieren und etwas mehr längere Stücke zu schreiben. Mal sehen, ob es mir gelingt. Insgesamt scheint mir das der Weg zu sein, auf dem die Blogosphere mehr Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von den großen Medienunternehmen erlangen kann.
Kategorie: Weblogs und Wikis Kommentare deaktiviert für Gretchenfrage für Blogger: Viel Nano-Content oder wenige Perlen?