Instant Messaging: Eine Frage der Kultur

24. Februar 2005 von Wolfgang Sommergut

Danah Boyd zeigt in einem interessanten Beitrag, wie verschiedene Nutzungsgewohnheiten von IM zu gegensätzlichen Erwartungen und kommunikativen Missverständnissen führen können. Der Graben verläuft nach ihrer Auffassung zwischen jenen, die ihren IM-Client immer laufen haben (die always-on’rs), und solchen, die ihn nur einschalten, wenn sie sich unterhalten möchten.

Die Immer-Onliner sehen IM primär als Tool, das ihre eigene Präsenz und jene ihrer Buddys anzeigt (Danah Boyd drückt das elegant mit share presence aus, man ist quasi gemeinsam online). Diese Gruppe nutzt den IM-Client zumeist, um kurze Nachrichten auszutauschen. Man stellt etwa eine Frage, die sich mit ein bis zwei Sätzen beantworten lässt. Gelegenheitsnutzer dagegen verstehen IM als Kommunikationsmittel. Sie schalten es nur dann ein, wenn sie sich unterhalten wollen.

Damit sind schon die Voraussetzungen für Missverständnisse gegeben: Spricht ein Gelegenheits-IMler einen always-on’r an, dann muss er damit rechnen, dass die Gegenseite keine Zeit für einen langen Chat hat – was dann möglicherweise mit der Frage beantwortet wird, warum der andere denn den IM-Client anschalte, wenn er doch keine Zeit für eine Unterhaltung habe.

Paradoxerweise fühlen sich die Gelegenheitsnutzer durch IM stärker abgelenkt oder gestört als die permanent Präsenten. Aufgrund ihrer Interpretation des Mediums schlagen sie nämlich selten eine Einladung zum Chat aus. Andererseits verweigern sich die always-on’r nicht längeren Dialogen, bevorzugen dabei aber ihresgleichen. Sie wissen dann in der Regel, dass beide Seiten damit die Bereitschaft und Möglichkeit zur Kommunikation signalisieren. Die Kontaktaufnahme wird nicht überlagert von Erwartungen des Typs „Hallo hier bin ich mal wieder, ich möchte quatschen und erwarte das Gleiche von dir“.

Das Posting von Danah Boyd hat mich dazu angeregt, meine eigenen IM-Gewohnheiten zu überdenken. Ich nutze IM-Systeme noch nicht allzu lange, vielleicht etwas länger als ein Jahr. Anfangs tendierte ich mehr zu „always on“ und startete den IM-Client über die Autostart-Gruppe. Allerdings passierte es mit wachsender Buddy-List immer öfter, dass mich Chats von allen möglichen Vorhaben ablenkten und zu einem richtigen Zeitfresser wurden. Ich war immer der Annahme, dass es unhöflich sei, einen Chat auszuschlagen – schließlich signalisierte ich ja durch meinen Online-Status die Bereitschaft zum Gespräch. Nach einiger Zeit entfernte ich den IM-Client aus der Autostart-Gruppe, weil ich nicht so oft unterbrochen werden wollte und wurde zu einem Gelegenheits-IMler. Diese Variante gefällt mir jedoch nicht so gut, weil mir der Aspekt der gemeinsamen Präsenz eigentlich wichtiger ist als zu chatten.

Wie lässt sich der Konflikt auflösen? Der Knackpunkt dabei dürfte sein, wie man als always on’r mit Gesprächsangeboten von Gelegenheitsnutzern umgeht. Danah Boyd zieht hier eine Parallele zum Telefon, einem Medium, das schon viel älter ist und mit dem wir besser vertraut sind. Dort erwartet kaum jemand, dass man bei jedem Klingeln an den Apparat geht. Wenn ein Anruf ungelegen kommt, dann nimmt man ihn nicht an. Beim relativ jungen IM ist das nicht so. Ich selbst habe verunsichert oder verärgert reagiert, wenn jemand mein Chat-Angebot ignoriert hat (ich überlegte, ob der Gegenüber aus irgend einem Grund sauer auf mich sein könnte). Die bessere Alternative zum Schweigen ist meines Erachtens, dem Gesprächspartner kurz und bündig mitzuteilen, dass man gerade keine Zeit habe. Das kommt vielleicht auch nicht immer gut an, scheint mir aber höflicher zu sein als Totstellen.

Kategorie: Messaging und Collaboration 4 Kommentare »

4 Antworten zu “Instant Messaging: Eine Frage der Kultur”

  1. Gerrit sagt:

    Ich mache selber exakt die gleiche Erfahrung wie Du! Aber eigentlich ist es wirklich kein Problem, wenn man ein kurzes „bin beschäftigt“ auf ein wohl länger zu werdendes Chatangebot erwidert!

  2. HW sagt:

    Wo ist denn das Problem? Bei den meisten IM-Systemen gibt es mehrere Online-Zustände, bei ICQ z.B. Online (normal), beschäftigt, nicht erreichbar, abwesend, nicht stören, unsichtbar usw. Da kann man sich je nach Situation den richtigen Zustand rauspicken. Wenn man dann im Status „nicht stören“ ist und jemand chatten will, darf er sich nicht wundern, wenn er keine Antwort bekommt. Die meisten höflichen Personen respektieren das auch und schreiben dann nur in Notfällen.

  3. Das ist offenbar keine technische Frage (denn die Möglichkeit, verschiedene Stati setzen zu können, darf man als allgemein bekannt voraussetzen). Zum einen finde es nicht praktikabel, ständig den Online-Status zu ändern (besonders in einem Multiprotokoll-Client wie gaim). Zum anderen aber verhält man sich damit aber wie ein Gelegenheitsnutzer, indem man nur sporadisch seine Online-Verfügbarkeit anzeigt – nur ist jener konsequenter und schaltet den IM-Client gleich ganz ab.

  4. Der Vergleich mit dem Telefon ist zwar stimmig, aber sinnvoller wäre es, das Verhalten von Gelegenheitsnutzern und Always On’r im IRC zu vergleichen. Dort lässt sich nämlich schon seit Jahren der gleiche Effekt beobachten, mit allen Feinheiten.

    PING:
    TITLE: Instant Messaging Kultur und Trends in Asien
    BLOG NAME: Studying E-Business
    Wolfgang Sommergut macht sich Gedanken über die Kultur von Instant Messaging.
    Ich selbst verwende Instant Messenger vor allem, um im Netz „präsent“ zu sein und chatte nur gelegentlich und eher kurz.
    Um nicht unhöflich zu erscheinen verändere ich…