Eindrücke von der Lotusphere 2007
26. Januar 2007 von Wolfgang SommergutNeben den großen Ankündigungen in Sachen Enterprise 2.0 bot die Lotusphere noch eine Reihe weiterer Themen und Informationen. Auf meinem Heimflug von Orlando habe ich kursorisch ein paar Dinge zusammengeschrieben, die mir im Gedächtnis geblieben sind und die ich bemerkenswert fand.
- Das Enterprise 2.0 nimmt Formen an, zumindest wenn es nach den großen Herstellern geht. Die IBM stellte mit „Lotus Connections“ eine Social Software vor, die bekannte Anwendungen aus dem Web 2.0 zusammenfasst (Screenshots finden sich hier). Dazu zählen Weblogs, Wikis, Social Bookmarks und persönliche Profilseiten nach dem Muster von Facebook. Auch Microsoft springt auf diesen Zug auf, etwa mit den Sharepoint Services 3, die Templates für Blogs und Wikis enthalten. Ob und wie stark diese Tools in Firmen genutzen werden, muss sich indes noch erweisen. Hierzulande dürfte die Zurückhaltung im Vergleich zu den USA sicher größer sein.
- Passen Web-2.0-Tools in Unternehmen? Zwei Fragen wurden auf der Lotusphere öfter gestellt: Der englische Analyst Robin Bloor bezweifelte, ob die Benutzerzahlen für Folksonomies ausreichten, etwa in Social-Bookmark-Systemen. Eine freie Verschlagwortung von gemeinsam genutzten Ressourcen profitiert besonders von Netzwerkeffekten. IBM-Offizielle sahen darin weniger ein Problem, vermutlich deshalb, weil ihre typischen Großkunden ohnehin tausende Mitarbeiter haben.
Volker Weber stellte auf der Pressekonferenz die Frage, welchen Nutzen intern installierte Tools im Vergleich zu del.icio.us oder einem gehosteten Blog-Service überhaupt bieten. Die IBM nannte als wesentliche Gründe Sicherheitsfunktionen und die Anbindung an das Firmenverzeichnis. Außerdem integriere eine Anwendung wie Connections die sonst üblicherweise separaten Tools. Im Fall von Bookmarks fällt mir noch ein, dass URLs aus dem Intranet in einem öffentlichen Service nicht viel verloren haben. Außerdem will eine Firma den Wettbewerbern möglicherweise nicht kundtun, für welche Themen sie sich gerade besonders interessiert. - Bookmarks beschreiben nicht nur Web-Seiten. Eigentlich liegt es ja nahe, aus den Tags, die ein Benutzer für Bookmarks vergibt, auf seine Interessen und Fachgebiete zu schließen. Bei IBM Connections ist dieser Aspekt mindestens genauso wichtig wie die Kategorisierung von internen und externen Dokumenten. Die Schlagwortlisten, die Connections auch als Tag Clouds darstellt, tauchen auf den Profilseiten von Mitarbeitern auf und sollen so bei der Suche nach Wissensträgern im Unternehmen helfen.
- Instant Messaging als Zentrum des Firmen-Desktops. Angesichts der nach wie vor relativ geringen Akzeptanz vom IM im professionellen Umfeld klingt eine solche Rolle synchroner Kommunikation eher unwahrscheinlich. Aber besonders jüngere Mitarbeiter ziehen dieses Medium immer häufiger der E-Mail vor. Die IBM reagiert darauf mit der Erweiterung von Sametime mit immer mehr Plugins, die den Zugriff auf diverse Datenquellen und Anwendungen aus dem IM-Client heraus erlauben.
- Presence Awareness extrem. Eigentlich ist die Sache mit dem Online-Status relativ einfach: Wenn jemand am Rechner arbeitet, erscheint er in einem IM-Client als anwesend, wenn er eine Zeit lang inaktiv ist, als abwesend. Daneben kann man noch Stati von Hand setzen, etwa wenn man nicht gestört werden will. Ein IBM-Forschungsprojekt namens PASTA („Presence for Enterprise“), das in den Lotusphere-Labs präsentiert wurde, geht da weiter (danke an Volker für den Hinweis auf den Namen) (leider habe ich die betreffende Pressemappe am Flughafen Orlando liegen gelassen, und an den Namen des Projekts erinnere ich mich nicht mehr. Über Google lässt es sich auch nicht finden, aber im Zuge der Suche habe ich bemerkt, dass es mehere ähnliche Vorhaben bei IBM Research gibt). Zum einen konsultiert es den Kalender, um aussagekräftige Informationen über die Verfügbarkeit eines potenziellen Kommunikationspartners zu geben. Darüber hinaus setzt es aber noch RFID und Bio-Sensoren ein, um detaillierte Angaben zum Verbleib einer Person machen zu können. Ein Mitarbeiter läuft also ständig mit einem RFID-Chip durch die Gegend und das Firmengebäude ist überall mit Lesegeräten ausstaffiert. Wenn sich jemand etwa in die Kantine begibt, dann zeigt die IM-Software an, dass der Kollege beim Essen ist. Das läuft schon fast auf eine elektronische Fessel hinaus.
- Demographie als Motor für das Softwaregeschäft. Neuere gesetzliche Regelungen, wie jene für den Umgang mit elektronischen Informationen (etwa Aufbewahrungspflichten), sind den Anbietern von Enterprise-Content-Management willkommene Argumente für den Verkauf ihrer Produkte. Neu war mir bisher jedoch, dass Social Software und Collaboration-Tools angeschafft werden sollen, um die Folgen der demographischen Entwicklung abzufedern. IBM-Manager Ken Bisconti argumentierte damit, dass solche Tools die zahlenmäßig rückläufige Gruppe mittleren Alteres entlasten können, die am stärksten unter Druck steht. Außerdem lasse sich so das Wissen der älteren Mitarbeiter konservieren, bevor sie in den Ruhestand gehen.
- IBM entdeckt den Endbenutzer.Über Jahre haben sich die Desktop-Anwendungen der IBM einen schlechten Ruf bei vielen Anwendern erworben. Lotus Notes schafft es immer wieder in die Spitzenränge bei den „Drecktools„, IT-Verantwortliche müssen sich von den Nutzern regelmäßig anhören, dass sie das viel hübschere Outlook möchten. Für Notes 8 und Quickr hat sich die IBM ganz offiziell mehr Benutzerfreundlichkeit und gefälligeres Aussehen der Software auf die Fahnen geschrieben. Ich habe nur kurz einen Blick auf die Beta von Notes 8 geworfen, sie war auf den PCs im Presseraum installiert. Auf den ersten Eindruck wirkt der Client recht hübsch und beherrscht einige Bequemlichkeitsfunktionen, die andere Mail-Programme schon lange haben.
- Integration von Google-Gadgets. Um die Akzeptanz der IBM-Business-Tools zu verbessern, öffnen sie sich Entwicklungen im Consumer-Markt. Dazu zählen nicht nur die Web-2.0-Trends, sondern auch die Integration der Google-Gadgets in den Portal-Server. Wetterticker, Weltuhr u.ä. dürften nicht viel Nutzen auf einem Firmen-PC bieten, aber sie tragen dazu bei, dass der Anwender eine persönliche Umgebung zusammenstellen kann.
- REST im Aufwind. Die IBM gehörte zusammen mit Microsoft zu den treibenden Kräften hinter SOAP und den komplizierten WS-*-Standards. Seit der blaue Riese das Web 2.0 entdeckt hat und nicht nur von Composite Applications à la Portal, sondern auch von Mashups schwärmt, gewinnen die einfacheren Web-Services auf Basis von REST an Bedeutung. Die zwei neuen Produkte Quickr und Connections besitzen daher nicht nur SOAP-Schnittstellen, sondern auch REST-APIs.
- Einfache Maßnahmen gegen den Mail-Missbrauch. Wenn es schon immer mehr aus der Mode kommt, Dateien auf lokalen Festplatten zu verstecken und stattdessen in Repositories auf dem Server zu speichern, dann gibt es kaum noch Gründe, hemmungslos Anhänge durch die Gegend zu schicken. Diese Zweckentfremdung von E-Mail als Collaboration-Tool führt zu vollen Postfächern und Versionsproblemen. Notes 8 fragt mit Einfügen von Anhängen, ob man nicht lieber bloß einen Link verschicken möchte. Alle Empfänger greifen damit auf die gleiche Datei zu, die ein DMS versionieren oder für den gleichzeitigen Zugriff sperren kann.
- Elektronische Kalender sind verbesserungsfähig. Die letzten Versionen von Notes und Outlook erleichtern das Zeit-Management mit diversen Neuerungen, besonders bei der Darstellung von Terminen. Die IBM präsentierte auf der Lotusphere eine pfiffige neue Funktion, die so genannten „ghosted entries“. Wenn man eine Einladung per Mail bekommt, dann taucht diese bisher so lange nicht im Kalender auf, bis man sie angenommen hat, was die Planung manchmal erschwert. Die neue Funktion trägt alle eingehenden Terminvorschläge automatisch in den Kalender ein und hebt sie farblich von fest geplanten Vorhaben ab.
Zur Lotusphere 2007 siehe auch meinen Bericht für die Computerwoche: IBM propagiert das Enterprise 2.0
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