Instant-Messaging und VoIP: Service statt Software?

29. April 2005 von Wolfgang Sommergut

Die großen Anbieter von Messaging-Systemen entfalteten in den letzten Wochen hektische Aktivitäten. Microsoft brachte das Service Pack 1 des Live Communications Server 2005 (LCS) auf den Markt und schloss ein Kooperationsabkommen mit RIM (dem Hersteller des Blackberry). IBM und Novell zogen nach und gingen ebenfalls eine Partnerschaft mit RIM ein. Die drei Firmen verfolgten damit das gleiche Ziel: Ihre auf den unternehmensinternen Einsatz beschränkten IM– und VoIP-Systeme für die Kommunikation mit der Welt außerhalb der Firewall zu öffnen. Die besseren Karten für global funktionierende Lösungen halten jedoch ein paar Anbieter von gehosteten Diensten in der Hand.

Microsofts neuer Real-Time-Collaboration-Client Office Communicator 2005 bringt in Kooperation mit dem LCS eine wesentliche Neuerung: die Unterstützung für IP-Telefonie. Man kann damit aus einer Anwendung heraus den Online-Status von Kollegen erfahren, einen Chat führen, Anwendungen gemeinsam nutzen und zusätzlich bei Bedarf den PC als IP-Telefon nutzen. Die Sache hat nur einen Haken: Will man jemanden außerhalb der Firma anrufen, dann nimmt der LCS den Weg über die Telefonanlage. VoIP beschränkt sich also normalerweise auf firmeninterne Gespräche, nach außen fungiert der LCS als Gateway ins Fest- oder Mobilfunknetz. IP-Telephonie über Firmengrenzen klappt nur, wenn kooperierende Unternehmen über ihr Active Directory Vertrauensbeziehungen aufbauen. Entsprechendes gilt auch für IM. Diese Beschränkungen treffen nicht nur auf Microsoft zu, sondern auf alle Hersteller, die Lösungen für Unternehmen anbieten – also auch auf die IBM mit Sametime.

Man stelle sich vor, dass der Austausch von E-Mails nur innerhalb der Firma funktioniert oder nur mit Unternehmen, die als vertrauenswürdig eingestuft wurden. Vor zehn Jahren wäre das wahrscheinlich noch kein Problem gewesen. Mit steigender Verbreitung von IM und VoIP dürfte es nicht lange dauern, bis man eine solche Einschränkung als unzeitgemäß empfinden wird. Das sehen die genannten Anbieter wohl auch so und versuchen, ihre Systeme zu öffnen. Microsoft bietet mit dem SP1 des LCS 2005 ein (zusätzlich zu bezahlendes) Gateway für AOL, MSN und Yahoo an. Bei der Kommunikation mit Nutzern dieser Consumer-Systeme bleibt ein wesentlicher Vorteil von Enterpise-IM auf der Strecke, nämlich die verschlüsselte Datenübertragung. Immerhin bleibt die Archivierungsoption und die Virenprüfung erhalten.

Inflation der IM-Angebote

IBM, Microsoft und Novell sind beileibe nicht die einzigen, die IM inklusive Presence Awareness für den firmeninternen Gebrauch anbieten. Alle ECM-Hersteller wie etwa Documentum, FileNet oder Opentext haben solche Funktionen ebenfalls im Programm. Anwender können vermutlich bald zwischen mehreren installierten IM-System wählen, die nur eingeschränkt miteinander und über die Firewall hinaus kommunizieren können. Ferris Research sieht die Versuche, dieses Problem über Gateways und Vertrauensbeziehungen zu lösen, eher skeptisch.

Vielversprechender sind da schon die Alternativen der großen Service-Anbieter. Kurz vor der CeBIT unterhielt ich mich mit Vladimir Butenko, President von Stalker Software. Die Firma existiert seit den späten 90er-Jahren und bietet mit CommuniGate Pro ein Mail-System an, das sich vor allem an ISPs oder Telcos richtet. Die aktuelle Version umfasst eine komplette und hochverfügbare VoIP-Infrastruktur, die für Millionen Benutzer ausgelegt ist. Sie umfasst auch SIP-Proxies zur Überwindung von Firewalls. Ein solches System ist von Haus aus für die globale Kommunikation ausgelegt und nicht bloß für firmeninterne Zwecke. Es unterstützt übrigens auch die typischen IM-Funktionen wie Chat, virtuelle Whiteboards und Presence Awareness.

Ähnliches gilt für Webex, den Marktführer bei Webkonferenzen. Das Unternehmen betreibt eine komplette Plattform für die gehosteten Dienste. Dazu gehören 650 Server an 10 Standorten weltweit, eigene Kabelnetze in einigen Regionen und Layer-4-Switching für Audio- und Videodaten. In einem Redaktionsgespräch mit dem CIO Shawn Farshchi erfuhr ich kürzlich, dass das Unternehmen demnächst unter der Bezeichnung Webex Connect einen IM-Client anbieten möchte. Er soll für die Peer-to-Peer-Nutzung kostenlos sein und die Möglichkeit bieten, die Kommunikation zwischen mehreren Teilnehmern über kostenpflichtige Web-Konferenzen abzuwickeln. Auch dieser Dienst bietet einen global einsehbaren Online-Status über eine hoch verfügbare Infrastruktur.

Microsoft orientiert sich am Software-Modell

Von den Enterprise-Lieferanten wäre Microsoft ebenfalls in der Position, einen global nutzbaren, unternehmenstauglichen IM-Dienst anzubieten. Zum einen herrscht es über den Desktop und könnte entsprechende Client-Software leicht unter die Leute bringen, zum anderen betreibt die Firma mit Live Meeting einen gehosteten Service, der mit Webex konkurriert. Der allseits vorinstallierte Windows Messenger ist jedoch ein Consumer-Produkt, das etwa keine verschlüsselte Kommunikation unterstützt. Der Communicator hingegen ist nicht als Nachfolger des Messenger vorgesehen, vielmehr wird er nur als dedizierter Client für den LCS verkauft.

Bei Live Meeting sieht es so aus, als würde Microsoft das ehemalige Placeware auf sein Software-Modell zuschneiden wollen. Die nächste Version des LCS, die voraussichtlich nächstes Jahr auf dem Markt kommt, wird mit Live Meeting verschmolzen, so dass Unternehmen damit interne Webkonferenzen abhalten können. Die wesentliche Neuerung von Live Meeting 2005 bestand übrigens darin, die Benutzerführung an Office anzupassen – dabei könnte die Leistungsfähigkeit des Systems durchaus noch verbessert werden, wenn es ähnliche Ziele verfolgen soll wie Webex. Die Update-Zyklen entsprechen im Übrigen ebenfalls dem Softwaregeschäft der Redmonder, neue Releases erhalten Versionsnummern in Form von Jahreszahlen. Shawn Farshchi erzählte, dass Webex einmal pro Quartal ein größeres Update erführe und laufend kleinere Korrekturen angebracht würden. Der Benutzer merkt davon nichts und muss selbst keine Patches einspielen – darin liegt ja der Vorteil eines Service. Die Versionsnummer wird deshalb nicht hochgezählt (genauso wenig wie ein ISP eine neue Version des DSL-Zugangs ankündigt, nur weil er einen neuen Switch installiert).

Microsoft bringt IM-Funktionen und IP-Telefonie als Anbieter von Intrastruktur-Software in die Unternehmen. Wie IBM versucht Microsoft seine Lösung für synchrone Kommunikation in Firmen zu verankern, indem es ihre IM-Funktionen in diverse Software-Pakete einbettet (darunter natürlich Office) und Drittanbieter ermuntert, über APIs und Tool-Kits das Gleiche zu tun. So verfahren übrigens auch die großen ECM-Anbieter wie Documentum, Opentext oder FilteNet. Professionellen Anwendern werden entsprechende Funktionen bald von jedem größeren Software-Lieferanten aufgedrängt, zusätzlich grassieren in den vielen Unternehmen die diversen Consumer-Tools von AOL, MSN, Yahoo & Co. Daneben besteht bei Nutzern von Webkonferenz- und VoIP-Diensten die Option, solche Funktionen von dort zu beziehen.

Babylonische Sprachverwirrung bei IM-Standards

Während sich die Industrie bei E-Mail schnell auf die wesentlichen Standards verständigen konnte, ist die Situation bei IM unübersichtlich. Zwar etabliert sich SIP/SIMPLE als das bevorzugte Protokoll, aber die viele Implementierungen verfügen über proprietäre Erweiterungen (etwa jene des LCS). Die IETF hat parallel dazu das von Jabber entwickelte Extensible Messaging and Presence Protocol (XMPP) als Standard verabschiedet. IBMs Sametime beruht auf T.120 sowie H323, aber es verfügt zusätzlich über ein SIP-Gateway für die Kommunikation mit anderen Systemen. Derzeit klappt diese mit dem LCS aber nicht. Ferris Research gibt einen guten Überblick über den aktuellen Stand von IM-bezogenen Standards, darunter auch zu den Aussichten für die Aggregierung von Online-Stati aus mehreren Systemen.

Eine Studie von Wainhouse Research geht davon aus, dass keines der beschriebenen Lager gewinnen wird, sondern sich eher ein Nebeneinander der verschiedenen Ansätze abzeichnet. Nicht unwesentlich dürfte dabei sein, wie sich viele kleinere Softwarehäuser entscheiden. Wenn mittelständische CMS-, CRM-, oder DRM-Hersteller derartige Features in ihre Produkte integrieren wollen, werden sie auf die großen Anbieter zurückgreifen. Aufgrund ihrer Windows-Orientierung dürften die meisten wohl dem Microsoft-Kurs folgen, auch wenn sich IM-Lösungen aus Redmond längst nicht in allen Unternehmen finden – im Gegensatz zu jenen von gehosteten Dienten, die überall zur Verfügung stehen.

Kategorie: Firmenstrategien, Medien und Web-Dienste, Messaging und Collaboration Kommentare deaktiviert für Instant-Messaging und VoIP: Service statt Software?

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