Sechs Wochen Bloglines: Eine Zwischenbilanz

6. November 2004 von Wolfgang Sommergut

Bloglines-Logo
RSS-Aggregatoren gibt es mittlerweile in großer Zahl für fast alle Plattformen, die meisten davon sind kostenlos. Ich habe im Lauf der letzten Monate ein paar Mal den Feed-Reader gewechselt. Zuerst nutzte ich AmphetaDesk, dann FeedReader, NewsDesk und schließlich SharpReader. Letzterer gefiel mir am besten, aber alle sind recht brauchbare und komfortable Desktop-Anwendungen. Warum also auf einen Browser-basierten RSS-Reader wechseln? Nach einigen Wochen Erfahrung mit Bloglines fallen mir dazu ein paar gute Gründe ein.

Vorteile von Bloglines:

  • Der offensichtlichste Nutzen eines gehosteten Aggregators liegt darin, dass ich die dort abonnierten Feeds von überall lesen kann. Man könnte seine Feeds natürlich auch an mehreren Plätzen parallel einrichten, indem man sie als OPML-Datei auf verschiedene Rechner verteilt. Das klappt aber nicht besonders gut, weil man diese Liste ständig überall aktualisieren muss, wenn man einen neuen Feed aufnimmt oder einen bestehenden löscht. Vor allem aber kann man die „gelesen“-Markerierung nicht weitergeben. Ich musste regelmäßig zu Hause die Postings auf „gelesen“ setzen, die ich schon zuvor in der Arbeit gesichtet hatte – und umgekehrt. Das war für mich der ausschlaggebende Grund, Bloglines auszuprobieren.
  • Wie die meisten Desktop-Reader kann auch Bloglines OPML-Dateien importieren. Das funktioniert über einen normalen File-Upload und klappte bei mir ohne größere Probleme. Im Gegensatz zu manchen Windows-Readern kann man seine Feeds auch wieder in diesem Format rausschreiben, man ist also nicht an dieser Service gefesselt.
  • Bloglines ist nicht nur ein Dienst, bei dem jeder Benutzer seine privaten RSS-Abos im Web ablegen kann. Vielmehr folgt es dem Muster von Social Software und macht sich die Netzwerkeffekte zu Nutze, die durch eine große Anwenderschaft entstehen. So wird bei jedem Feed die Zahl seiner Abonnenten angezeigt. Man kann sich also einen guten Überblick über die Popularität von Websites verschaffen. Der Nutzer erfährt übrigens nicht nur die Zahl der Leser, sondern kann noch tiefer bohren und sich die Liste der jeweiligen Abonnenten anzeigen lassen – dort scheinen allerdings nur jene auf, die das wollen und ihre Feeds als „public“ markiert haben. Man muss aber die Feeds von Leuten mit ähnlichen Interessen nicht einzeln ansehen, um gute Blogs zu entdecken.
  • Bloglines listet nämlich bei Bedarf zu jedem Feed eine Liste von Sites auf, die es thematisch für ähnlich hält. Diese „related feeds“ sind in vielen Fällen aber nicht besonders zutreffend. Daneben bietet Bloglines ein Feature an, das nach dem Muster von Amazons Kunden, die dieses Buch gekauft haben, haben auch diese Bücher gekauft funktioniert. Man kann sich damit Feeds empfehlen lassen, die Leute mit einem ähnlichen Abo-Profil bestellt haben. Man stößt damit zwar gelegentlich auf interessante Quellen, aber insgesamt funktioniert dieses Feature noch nicht besonders gut. So tauchen etwa in den Empfehlungen Feeds auf, die man bereits abonniert hat.
  • Sehr hübsch finde ich die Funktion „Clip/Blog This“. Mit ihrer Hilfe kann man jeden Eintrag eines Feeds für eine spätere Bearbeitung vormerken und eine Ideen-Sammlung für seinen Blog aufbauen. Das „Blog This“ bezieht sich nicht darauf, dass man aus Bloglines heraus in seinen eigenen Weblog posten kann. Vielmehr bietet der Service die Möglichkeit, dort einen Blog einzurichten. Das wird man im Normalfall aber nicht wollen.
  • Erwähnenswert finde ich noch die Möglichkeit, dass Bloglines die Suche in den abonnierten Blogs und Websites erlaubt. Desktop-Aggregatoren bieten normalerweise nur die Möglichkeit, in den Daten zu recherchieren, die sie auf die lokale Platte heruntergeladen haben.
  • Bloglines sieht auch noch vor, dass man seine abonnierten Feeds als Blogrolll weiterverwenden kann. Zu diesem Zweck erzeugt der zuständige Wizard ein Javascript, das man in seinen Blog einbindet. Bei jedem Aufruf der betreffenden Blog-Seiten holt das Script die jeweils aktuelle Feedliste bei Bloglines ab. Dieses Feature gefällt mir nicht besonders, außerdem möchte ich nicht bei jeder Anfrage an meinen Blog einen Referrer an Bloglines senden.
  • Feeds, die den gesamten Text der Postings enthalten, lassen sich in Bloglines angenehm lesen. Die HTML-Darstellung für RSS-Einträge ist übersichtlich formatiert und oft besser, als das Original-Layout des jeweiligen Blogs. So lese ich etwa die Weblogs von Doc Searls oder Dave Winer wesentlich lieber in Bloglines als auf den betreffenden Sites.

Und wo liegen die Nachteile von Bloglines?

  • Der größte Vorteil von Bloglines ist zugleich sein größter Pferdefuß: Als gehosteter Dienst im Web muss man ihn über einen Browser nutzen. Das Web-Interface ist einer Desktop-Anwendung in punkto Benutzerfreundlichkeit unterlegen, auch wenn Bloglines zu den Web-Frontends der neueren Generation zählt. Dort läuft viel über Javascript/DHTML und es zeigt ein gutes Ansprechverhalten. In Zukunft kann man das Beste aus beiden Welten haben. Bloglines publiziert seit ein paar Wochen viele seiner Funktionen als Web-Service, und mehrere Programmierer von RSS-Readern haben schon angekündigt, sie in ihre Desktop-Anwendungen einzubinden. Bloglines selbst bietet einen Notifier für mehrere Bertriebsysteme und Browser an.
  • Auch wenn das Web-Frontend recht zügig auf Benutzeraktivitäten reagiert, so zeigt es bei den Feeds großer News-Sites deutliche Performance-Probleme. Unangenehm ist die Kombination aus einer großen Zahl von Postings und einem langsamen Web-Server. Wenn ein Feed innerhalb von ein oder zwei Tagen regelmäßig die voreingestellte Obergrenze von 200 Postings erreicht, dann ist Bloglines dafür ein schlechter Reader. Das Laden von Spiegel Online etwa zwingt den Browser mehrere Minuten in eine Nachdenkpause, Firebird schafft es in dieser Zeit kaum noch, das Fenster neu zu zeichnen. Insoferne bleibt Bloglines seinem Namen treu und eignet sich vor allem für das Lesen von Blogs, weil diese nicht mit so großen Informationsmengen aufwarten wie die großen News-Dienste.
  • Bloglines ist ein noch relativ neuer Service und hat noch ein paar Macken. Dazu zählt, dass die „gelesen“-Markierung nicht verlässlich ist. Bereits gesichtete Beiträge werden immer wieder als neu ausgewiesen. Gelegentlich treten gröbere Aussetzer auf, wie der folgende Screenshot zeigt. Diese Phänomene habe ich in letzter Zeit aber seltener beobachtet.

    Bloglines-Fehler

Fazit: Bloglines ist nicht bloß eine Online-Deponie für private RSS-Abos, kombiniert mit einem Browser-basierten Reader. Es macht sich als Social Software das Wissen über seine Benutzer zu Nutze und leitet davon eine Reihe von Features ab, die ein Desktop-Aggregator nicht bieten kann. Dank der Web-Service-API ist Bloglines auf dem Weg, eine Plattform zu werden. Ich halte es für einen sehr interessanten Dienst, der etwa den Vergleich mit anderen RSS-bezogenen Angeboten wie Technorati oder Feedster nicht scheuen muss.

Die Benutzung von Bloglines ist derzeit kostenlos. Das Geschäftsmodell der Firma ist mir unklar, da auch keine Werbung eingeblendet wird. Früher oder später dürfte aber damit zu rechnen sein, oder Bloglines eröffnet eine kostenpflichtige Premium-Version des Dienstes. Die Anwendung spricht derzeit nur Englisch. Bei der Gelegenheit stellt sich mir die Frage, warum in D-Land niemand mit einem solchen Service in die Gänge kommt (eRONA war offenbar nie als kommerzielles Angebot gedacht, Gregaire spricht auch nur Englisch und scheint zudem ebenfalls keine wirtschaftlichen Ziele zu verfolgen).

Kategorie: RSS 3 Kommentare »

3 Antworten zu “Sechs Wochen Bloglines: Eine Zwischenbilanz”

  1. Was eRONA angeht gibt es darauf nur eine Antwort: ich war/bin nicht gierig genug.
    Mein Ziel war es, einen Aggregator/Reader _für mich_ zu schreiben, und dann erst kamen andere Leute auf mich zu, von wegen was ist das, wie funktionierts und ‚darf ich auch mal?‘. Und dann kam Bloglines und es war zu spät.
    Faule Ausrede, ich weiß ;)

  2. Ja das ist der Unterschied: Ich habe immer wieder junge Firmengründer aus den USA erlebt, wenn sie auf Redaktionstour durch Europa tingeln. Die nennen sich gleich CEO, auch wenn ihre Firma noch eine Klitsche ist. Sie haben oft nur wenig Kapital im Kreuz, sind aber von ihrer Idee 100% überzeugt. Da merkt man den unbedingten Willen zum Erfolg.
    Bei uns begegnet einem das selten. Da gibt es zwar immer wieder Leute mit guten Ideen, aber die werkeln im Verborgenen und keiner weiß von ihnen. Die Amis haben oft auch keine besseren Produkte, aber sie setzen sich gerade im Web gegenüber den Europäern fast immer durch. Von wegen „Und dann kam Bloglines und es war zu spät“: Konkurrenz ist kein Grund zur Resignation. Und die Sättigung des Marktes bei derartigen Diensten dürfte im niedrigen einstelligen Bereich liegen.

  3. Ich sag ja, das ist eine faule Ausrede ;)
    eRONA wird weiterentwickelt, Ideen sind da, ich brauche nur die Zeit/die Leute, sie umzusetzen.
    Und das ist das zweite Problem: finde in D jemanden, der Dir ‚einfach nur so‘ hilft. Das an sich ist schon schwer, und je spezieller der Thema, desto schwerer wirds außerdem.
    Ich denke schon, das ich mich bzw. eRONA gut verkaufen kann — könnte ich das nicht, wäre ich jetzt nicht da, wo ich bin. Andererseits ist es für mich eine Frage der Prioritäten. Da ist phpBB.de, das viel Zeit frisst, da ist ein Studium, das zu Ende gebracht werden will und da ist Arbeit, Privatleben, usw.
    Wie ich schon sagte (in meinem Blog), eRONA ist in einem gefährlichen Stadium: works for me. Ich habe keine Not, daran arbeiten zu müssen, also wird es hintenangeschoben.
    Klingt fast wie eine Rechtfertigung — ist auch eine. Faule Ausrede, wie gesagt ;)

    PING:
    TITLE: Bloglines im Test
    BLOG NAME: C-blog – Bock auf Blog
    Wolfgang Sommergut hat in „Sechs Wochen Bloglines: Eine Zwischenbilanz“ die Vor- und Nachteile des Online-RSS-Readers Bloglines.
    Fazit: Bloglines ist nicht bloß eine Online-Deponie für private RSS-Abos, kombiniert mit einem Browser-basierten Reade…

    PING:
    TITLE: Vor- und Nachteile von Bloglines
    BLOG NAME: tzwaen.systems – Weblog
    Wolgang Sommergut nutzt seit einigen Wochen Bloglines und hat nun einen ausführlichen Artikel über die Vor- und Nachteile von Bloglines geschrieben.
    Bloglines ist nicht bloß eine Online-Deponie für private RSS-Abos, kombiniert mit einem Browser-basier…

    PING:
    TITLE: Blogrollexport
    BLOG NAME: Markup
    Bei Wolfgang Sommergut habe ich seine Zwischenbilanz zu sechs Wochen Bloglines gelesen. Ich kannte den Dienst durch die Referer-Auswertungen der Statistiken meiner Domain. Bisher wollte ich mir dort keine Liste der von mir gelesenen Feeds online anlege…

    PING:
    TITLE: Bloglines Firefox Center
    BLOG NAME: Lazerte
    Ich geb’s zu: die Handvoll Feeds, die ich lese, verfolge ich schon länger nicht mehr in einem Feedreader, sondern über den Online-Service Bloglines. Die wichtigsten Pros und Cons von Bloglines hat Wolfgang Sommergut kürzlich sehr prägnant…

    PING:
    TITLE: Bloglines.com: Die Vor- und Nachteile
    BLOG NAME: Zeitverschwendung auf modern
    Wolfgang Sommergut hat einen Artikel über die Vorteile und Nachteile von Bloglines als Feedreader geschrieben:
    Sechs Wochen Bloglines: Eine Zwischenbilanz
    Erwähnenswert finde ich daneben auch noch,

    PING:
    TITLE: Bloglines Testbericht
    BLOG NAME: Mein Blog
    Seit kurzem lese ich meine Web-Nachrichten und Blogs über Bloglines. Bloglines ist ein Online RSS Reader. Weil der Dienst mir sehr gut gefällt wollte ich ursprünglich selber einen Testbericht schreiben aber Wolfgang Sommergut kam mir zuvor. Deshalb v…