Wie Social Bookmarks das Bloggen verändern

2. April 2005 von Wolfgang Sommergut

Informationen zu filtern gilt als eine wesentliche Funktion von Weblogs. Blogger verlinken auf Online-Texte und geben damit zu verstehen, welche Inhalte sie für lesens- oder zumindest beachtenswert halten. Solcher Nano-Content kann sich auf den bloßen Verweis beschränken oder ergänzende Informationen und Wertungen beinhalten. Dieser Aspekt des Bloggens verliert aber mit der steigenden Beliebtheit von del.icio.us, Furl & Co. an Bedeutung.

Ein wichtiges Indiz dafür ist m.E., dass immer mehr Blogger ihre favorisierten Links in einem Posting unter Überschriften wie Links für [Datum] oder Bookmarks for [Datum] zusammenfassen. Dort bündeln sie ihre Bookmarks, die sie am betreffenden Tag in del.icio.us oder ähnlichen Diensten hinterlegt haben. Bis vor ein paar Monaten war das noch anders. Da diente das Weblog als bevorzugtes Tool zur Verwaltung interessanter Links. Jetzt sind die Social-Bookmark-Services drauf und dran, ihnen den Rang abzulaufen. Und das nicht ohne Grund – sie sind das bessere Werkeug für diesen Zweck.

Das gilt nicht nur für den, der den Überblick über seine eigenen Bookmarks behalten will. del.icio.us & Co. sind auch besser für jene, die als Leser und Konsumenten von den Entdeckungen anderer profitieren wollen. Die Filterfunktion von Blogs ist nämlich nur eine von einzelnen Autoren. Im Normalfall folge ich selbst bei guten Bloggern nur einem relativ kleinen Teil ihrer Hinweise, weil sich ihre und meine Interessen in der Regel zu stark unterscheiden. Eine kollektive Filtertätigkeit von Blogs als Resultat der zahlreichen individuellen Verweise kommt nur indirekt zu Stande. Wenn viele Sites auf bestimmte Texte verweisen, dann gelten sie für Suchmaschinen als besonders relevant. Insoferne tragen Blogger als Kollektiv dazu bei, dass die von ihnen verlinkten Seiten stärker hervorgehoben werden.

Ganz anders bei Social Bookmarks. Sie laden ihre Benutzer dazu ein, Web-Ressourcen zu beschreiben, sei es durch frei wählbare Schlagwörter („Tags“) und/oder Freitext. Die an einem Ort akkumulierten Metadaten tausender Nutzer eröffnen ungleich bessere Möglichkeiten, auf interessante Inhalte zu stoßen als die ausgewählten Links meiner Liebling-Blogger. Ich habe seit einiger Zeit mehrere RSS-Feeds für bestimmte del.icio.us-Tags abonniert. Das funktioniert nach dem Muster http://del.icio.us/rss/tag/wiki, um beispielsweise alle Bookmarks zu bekommen, die zuletzt mit dem Schlagwort „Wiki“ gekennzeichnet wurden. Nach meiner bisherigen Erfahrung erhalte ich damit mehr Hinweise auf interessante Texte als über die Lektüre von Blogs. Und das Beste daran: Ich muss dabei immer weniger auf die Empfehlungen interessanter Autoren verzichten, weil sich Bookmarks bestimmter Personen ebenfalls per RSS beziehen lassen.

Insgesamt möchte ich über das Verhältnis von Weblogs und Social Bookmarks folgende Thesen formulieren:

  • Die Gewohnheit, einen großen Teil der Postings mit bloßen Links zu bestreiten, wird zurück gehen, je mehr Blogger del.icio.us oder Furl benutzen. Seit ich meine Bookmarks mit del.icio.us verwalte, hat sich mein Verhalten in dieser Hinsicht sichtbar verändert. Was noch vor einem halben Jahr ein kurzer Blog-Eintrag mit Leseempfehlung geworden wäre, landet jetzt als Bookmark in del.icio.us. Ich vermute, dass andere Blogger da ähnlich verfahren.
  • Die meisten Link-Blogs werden verschwinden. Scoble ist ein aktuelles Beispiel dafür, auch wenn er als Grund Arbeitsüberlastung angibt. Link-Blogs bieten gegenüber der Verwaltung von Bookmarks in del.icio.us praktisch keine Vorteile. Umgekehrt profitiere ich bei Social Bookmarks von der Arbeit einer Community und kann etwa sofort sehen, wieviele andere Teilnehmer meinen Link bereits interessant gefunden haben, mit welchen Schlagwörtern er beschrieben wurde und welche andere Web-Ressourcen dasselbe Tag erhalten haben.
  • Die Erwartungen an Blogs werden steigen. Postings, die sich auf „Ich habe etwas Interessantes gefunden“ beschränken, verlieren an Wert. Zusätzlich entstehen immer mehr Qualitäts-Blogs, die eigenständige Inhalte bieten. Für voll berufstätige Freizeit-Blogger wird es schwieriger, da mitzuhalten (ganz zu schweigen von den Folgen, wenn eine (begrenzte) Professionalisierung des Bloggens einsetzen würde).
  • Es gibt keine befriedigende Lösung für die Integration von Weblogs und Social Bookmarks. Postings mit den gesammelten Links des Tages fehlt es meist an einer vernünftigen Beschreibung. Die meisten davon übergehe ich, viele andere Leser verfahren wahrscheinlich genauso. Ich blende die letzten 15 meiner del.icio.us-Bookmarks in der Sidebar meines Blogs ein. Das durchbricht die willkürliche Zerstückelung in tägliche Link-Postings. Andererseits werden auf diese Weise oft Bookmarks, die schon ein paar Stunden später aus der Liste rutschen, von Suchmaschinen indiziert. Wer von Google über einen Begriff aus der del.icio.us-Sektion auf meine Site gelangt, sucht daher oft vergeblich nach dem betreffenden Wort.

Kategorie: Weblogs und Wikis 9 Kommentare »

9 Antworten zu “Wie Social Bookmarks das Bloggen verändern”

  1. Volker Weber sagt:

    Außer Spidern liest niemand die Sidebar. Und speziell nicht den Teil auf der zweiten Bildschirmseite. Die Mühe kannst Du Dir sparen.
    Ich glaube auch nicht, dass so furchtbar viele Leser einen Beitrag lesen, der länger als eine Bildschirmseite ist.

  2. Ich gebe zu, dass die del.icio.us-Sektion in der Sidebar nicht übermäßig nützlich sein dürfte. Aber irgendwie finde ich sie ganz chique, und nachdem sie sich automatisch aktualisiert, lasse ich sie bis auf Weiteres drin.
    Was längere Texte angeht, muss man als Autor darauf achten, dass man sie so gut wie möglich verkauft (Überschriften, gute Struktur). Natürlich wird man nicht alle Leser zur Lektüre des gesamten Postings bewegen können. Aber aus meinem eigenen Leseverhalten schließe ich, dass man bereit ist, auch längere Stücke zu lesen, wenn sie interessant erscheinen. Aber die Barriere dafür ist zugegebenermaßen hoch.

  3. Matti sagt:

    Sehr intressanter Artikel. Vielleicht nehmen Social Bookmarks den Platz zwischen Webkatalogen und Suchmaschinen ein. Sie scheinen die Vorteile zu vereinen. Jedoch bezweifle ich das Social Bookmarks vom problem Spam verschont bleiben.

  4. Hallo Matti, die Parallele zwischen Web-Katalogen und Social Bookmarks ist mir noch nicht aufgefallen, aber sie ist natürlich augenfällig. Interessanter Hinweis.
    Was die Spam-Problematik anlangt: Clay Shirky definiert Social Software pointiert als „stuff that gets spammed“. Und bei del.icio.us gab es schon erste Fälle von Spam (http://sommergut.de/wsommergut/archives/000955.shtml)

  5. Kossatsch sagt:

    Die Punkte 1 bis 4 stimmen wohl; es fehlt allerdings noch die Möglichkeit, von openBM abgesehen, die Fundstücke (anderer) zu kommentieren, es sei denn, man übernimmt das Lesezeichen. Zu Punkt 4 noch: Abhilfe könnte RSS mit Feedburner schaffen (mit del.icio.us und Furl geht es), aber ich mag es nicht, etwas wie das RSS-Feed auszulagern.

  6. Harald sagt:

    Alles was die Blog-Bubble ausmacht, hat die Homepage-Welle in den 90ern vorweggenommen. Blogs sind meiner Meinung nach immer noch zu nahe an diesem Prinzip, als dass sie essentiell neue Effekte im Markt erzeugen könnten.
    Mag mit Multi-Blogs was anderes sein, aber die lösen wahrscheinlich ein leichtes Gähnen in Richtung Communities/Foren aus.

  7. Sencer sagt:

    Scoble hat seinen Linkblog aufgegeben, wegen der vielen Beschwerden, dass er ungefragt Inhalte anderer eingebunden hat. Seiner Ansicht nach war das publizieren per RSS einwilligung in jedwede Nutzung auf fremden Seiten. Dass es da viel Streß gab, kann man sich vorstellen… Ich denke also nicht, dass es in diesem Zusammenhang ein gutes Beispiel ist.
    Ich glaube dass Linkblogs nicht verschwinden werden, genausogut könnte man argumentieren, dass Weblogs verschwinden, weil es ja Webforen gibt, in denen man thematisch viel besser gebündelt schreiben kann. Ein gut geführtes und besuchtes Fachforum bietet mir ebenfalls wesentlich mehr Anregungen zum Fachthema als ein einzelner Blogger (oder auch ein Gruppenblog) je könnte. ;)
    Ich habe ebenfalls eine zeitlang ein paar delicious-Tags verfolgt, habe es aber letztlich sein gelassen, weil
    a) die Menge viel zu groß war oder
    b) die Menge viel zu klein war oder
    c) ständig Wiederholungen drin waren
    d) das Thema – sprich der Tag – als Filter nicht stark genug war. So gab es bspw. ständig „Anfänger“ in der Thematik die nicht nur auf alte sondern auch oft auf zu banale Sachen gelinkt haben.
    Ich bevorzuge als Leser nachwievor Linkblogs von konkreten Autoren – zugegebenerweise aber auch unabhängig davon ob sie es auf ihrer eigenen Seite oder bei delicious führen, wobei ich eigene Seiten bevprzuge, da sie a) oft optisch ansprechender sind b) ich eher den Bezug zum Autor herstellen kann (sehen sonst alle gleich aus) c) Funktionalität (suchen, kommentieren etc.)

  8. @Sencer: Link-Blogs erfüllen m.E. eigentlich nur eine Aufgabe: Web-Informationen für die Leser zu filtern. Sie funktionieren nach dem Muster „Schaut her, ich habe hier und dort etwas Interessantes gefunden, das sich zu lesen lohnt“. Wenn man sehr ähnliche Interessen hat wie der Autor des Blogs, dann kann man dort gute Lektüretipps bekommen. Einen zusätzlichen Wert setzt der Link-Blogger fremden Inhalten aber nicht zu, er beschränkt sich i.d.R. auf das bloße Verweisen.
    Diese Funktion gleicht jener von Social Bookmarks sehr stark, nur dass ich dort dank umfangreicher Metadaten einen Mehrwert bekomme. Vermutlich wird es bald viel mehr Nutzer von deicious oder Furl geben als aktive Blogger. Diese Dienste gelten einigen ja schon als wichtige Bausteine des Semantic Web.
    Ich stimme dir zu, dass RSS-Feeds zu bestimmten delicious-Tags viel unbrauchbares Material enthalten. Andererseits wäre zu bedenken, dass diese Services erst am Anfang stehen. J. Schachter hat ja erst kürzlich Investoren für delicious gefunden und möchte sich ganz diesem Projekt widmen. Ich könnte mir vorstellen, dass Social Bookmarks mit der Zeit sehr gute Filteroptionen bieten werden, um maßgeschneidert Informationen abrufen zu können. Außerdem werden sie die Benutzereingaben intelligent analysieren, alleine schon um der drohenden Spam-Gefahr Herr zu werden.
    Insgesamt wird es m. E. für Blogger zunehmend härter, die Aufmerksamkeit von Lesern zu gewinnen. Das liegt an der steigenden Zahl guter Weblogs, aber auch an der Konkurrenz durch Social Bookmarks. Foren spielen da keine so große Rolle, weil sie zu viel Rauschen erzeugen und ziemlich unübersichtlich sind. Ein paar Link-Tipps pro Tag aneinanderzureihen wird aber kaum mehr jemanden hinter dem Ofen hervorlocken.

  9. Sencer sagt:

    Hallo Wolfgang,
    >Einen zusätzlichen Wert setzt der Link-Blogger
    >fremden Inhalten aber nicht zu, er beschränkt
    >sich i.d.R. auf das bloße Verweisen.
    Jein, denn die „redaktionelle Auswahl“ bzw. die Zusammenstellung der Links ist natürlich schon ein (bzw. „der“) zusätzlicher Wert. Natürlich sind die automatischen Aggregationen und Auswertungen der Dienste auch beeindruckend, aber sie haben für mich nicht dieselbe Qualität wie die Arbeit eines menschlichen Redakteurs. Du kommst ja auch auf das semantische Web zu sprechen, woran sich ja ebenfalls die Geister scheiden. Ich will nur kurz anmerken, dass ich bei den Versprechen der Befürwörter ebenfalls skeptisch bin ( – will aber hier nicht vom Thema abschweifen).
    >Vermutlich wird es bald viel mehr Nutzer von
    >delicious oder Furl geben als aktive Blogger.
    Das wird sicherlich interessant zu beobachten sein. Ich muß zugeben, dass ich spontan keinen Nutzer von Soc.Bookm.-Diensten (SBM) kenne, der nicht auch ein Weblog hat – ohne dass das jetzt repräsentativ ist ;-)
    >- mit der Zeit sehr gute Filteroptionen bieten
    >werden
    >- Benutzereingaben intelligent analysieren,
    >alleine schon um der drohenden Spam-Gefahr Herr zu werden.
    Zwei sehr anspruchsvolle Aufgaben. Falls sie wirklich zufriedenstellend gelöst werden können/werden, würde das meine aktuelle Einschätzung sicherlich beeinflussen.

    PING:
    TITLE: Geballte Ladung am Sonntag
    BLOG NAME: La vida pirata…
    Bevor ich mich gleich in die Sonne lege, möchte ich gerade noch auf verschiedene Fundstücke aufmerksam machen. Zum Beispiel diesen wundervollen ‚Next Level Social Networking Service‘. Außerdem gab es einige interessante Entwicklungen im…

    PING:
    TITLE: Wie Social Bookmarks das Bloggen verändern
    BLOG NAME: einfach-persoenlich Sideblog
    Wolfgang Sommergut beschreibt interessant Gedanken und prophezeit des Ende vieler Linkblogs. Gibt es für die Integration von Weblogs und Social Bookmarks befriedigende Lösungen? Und er legt den Finger auf die Qualität vieler Link-Postings in Weblogs. N…

    PING:
    TITLE: Social bookmarking changes blogging
    BLOG NAME: irox.de
    Wolfgang Sommergut just mentioned some points (German article) about tools like Spurl, Furl and del.icio.us.
    To sum these points up, he says:

    There will be fewer postings that simply point to a page and say »cool stuff«.
    Most link bl…

    PING:
    TITLE: Chaos organisiert sich selbst – durch Folksonomy
    BLOG NAME: Nextsolutions. Think Tank.
    „Tagging“ scheint ein neues Schlagwort im eCommerce zu werden – oder sagen wir lieber im Bereich des Knowledge-Management (Wissensverwaltung) bzw. der Datenverwaltung. Viele halten Tagging gar für den Königsweg, Ordnung in die chaotischen Weiten de…

    PING:
    TITLE: Zum Verhältnis von Blogging und Social Bookmarking
    BLOG NAME: PlasticThinking: Moe’s Blog.
    Wolfgang Sommergut macht sich Gedanken darüber, inwieweit Social Boomarking-Dienste wie Furl oder del.icio.us auch den Stil beim Bloggen verändern: „Wie Social Bookmarks das Bloggen verändern“. Er …