Wikipedia-Gründer Wales: Menschliche Urteilskraft gegen Google

20. Februar 2007 von Wolfgang Sommergut

Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (20. Februar 2007, Seite 19) spricht Jimmy Wales über sein neuestes Projekt namens „Wikia Search“. Es handelt sich dabei um eine kommerzielle Suchmaschine. Deren Funktionsweise dürfte sich von Google weniger unterscheiden, als Wales uns glauben machen will.

Als wesentliches Merkmal von Wikia Search nennt Wales, dass sie die Relevanz von Web-Seiten aufgrund von Benutzerwertungen berechnen möchte. Das Verfahren von Google und anderen etablierten Suchdiensten, die Linkpopularität als wesentlichen Faktor für die Bedeutung einer Site heranzuziehen, sage nach seiner Meinung nichts über die Qualität der Inhalte aus.

Das Anliegen des Pagerank-Algorithmus ist es tatsächlich nicht, die Qualität des Textes zu beurteilen. Ihm liegt aber die berechtigte Annahme zu Grunde, dass Web-Autoren bevorzugt auf solche Seiten verweisen, die sie für ihr Thema als relevant und lesenswert halten. Nicht zufällig gilt deshalb das Google-Verfahren in der Web-2.0-Debatte als ein Beispiel dafür, wie sich die Intelligenz großer Kollektive nutzen lässt. Natürlich hat sich unter dem Einfluss von Suchmaschinen der Umgang mit Hyperlinks verändert. Im Jargon empirischer Sozialforschung ausgedrückt, war die Suchmaschine anfangs ein nicht teilnehmender Beobachter, die Web-Autoren stimmten mittels Verlinkung implizit über die Relevanz von Seiten ab. Mittlerweile ist Google zu einer wesentlichen Umweltbedingung des Ökosystems Web geworden, das Messinstrument beeinflusst den Gegenstand der Beobachtung. Die meisten Autoren sind sich bewusst, was sie durch einen Link auf eine externe Site bewirken. Verweise erhalten dadurch immer stärker den Charakter expliziter Bewertungen.

Als Folge der großen Bedeutung von Google nehmen die Versuche zu, die Ergebnisseiten zu manipulieren. Wer heute eine neue Web-Suchmaschine an den Start schickt, muss keine besondere technische Eintrittsbarriere überwinden. Die nötige Software ist Commodity, die gibt es als Open Source (Wikia Search baut auf Lucene und Nutch) oder von IBM („Omnifind Yahoo Edition„). Die wesentliche Herausforderung besteht darin, die zahllosen Manipulationen und Betrügereien zu entdecken und Spam auszufiltern.

Vor diesem Problem wird auch Wikia Search stehen. Wales behauptet zwar forsch, er habe mittlerweile genug Erfahrungen gesammelt, wie man Online-Communities organisiere. Die Wikipedia zeigt indes, dass sie das Spam-Problem keineswegs im Griff hat. Wie möchte Wales etwa verhindern, dass Mitarbeiter einer Firma die Seiten der Mitbewerber systematisch schlecht benoten? Auch Wikia Search wird auf Algorithmen angewiesen sein, um Missbrauch zu entdecken und Website-Bewertungen durch Benutzer zu gewichten. Und das kommerzielle Projekt wird diese wohl kaum veröffentlichen.

Wenn Wales die Web-Inhalte nach dem Digg-Prinzip bewerten lassen möchte, dann könnte die von ihm gepriesene menschliche Urteilskraft wenig über die Qualität
von Web-Inhalten aussagen: Bei Digg und ähnlichen Diensten ist eine verschwindend kleine Minderheit für einen Löwenanteil der Aktivitäten verantwortlich (siehe: Selbstmissverständisse des sozialen Web). Hinzu kommt, dass eine kommerzielle Suchmaschine im Unterschied zur gemeinnützigen Wikpedia für viele Nutzer keinen Anreiz zur Mitarbeit bietet.

Im Prinzip steht Wikia Search vor den gleichen Schwierigkeiten wie Google. Letztere muss Verweise bewerten und herausfinden, ob versucht wurde, mittels Verlinkung oder Spam-Techniken die Ergebnisse zu beeinflussen. Wikia Search muss das Gleiche mit den Site-Bewertungen seiner Benutzer tun. Im Unterschied zum Milliarden-Konzern Google stehen Wales für Forschung und Entwicklung aber nur bescheidene Mittel zur Verfügung.

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