Das SZ-Feuilleton bekräftigt seine Web-Inkompetenz

10. Dezember 2007 von Wolfgang Sommergut

Wieder einmal lässt die SZ einen Schreiber auf das Thema Web 2.0 los, um schon mehrfach publizierte Plattheiten zu wiederholen. Im Rückgriff auf Debatten, die teilweise schon mehr als zwei Jahre zurückliegen, reiht Bernd Graff alle gängigen Vorurteile aneinander. Der anonyme, ahnungslose und denunziatorische Mob verleumde, beleidige und trample den Diskurs kaputt Die immer wieder postulierte kollektive Intelligenz sei nur unorganisiertes Geschwätz und die Wikipedia werde von Mittelmaß dominiert.

Mit diesem Bild illustriert der
Autor den Begriff
„Schwarmintelligenz“

Die „Einwände“ gegen das Web 2.0 sind ebenso wenig originell wie die Motive des Autors. Wie schon andere Schmähredner zuvor ist der gekränkte Narzissmus des professionellen Schreibers eine wesentlich Triebkraft für diese Form der Auseinandersetzung. Er kann das verlorene Publikationsmonopol der Verlage und der dort beschäftigten Autoren nicht verkraften. So offen wie Graff zeigt das normalerweise keiner der Kritiker, weil sie ihre Polemik gegen das Web nicht als Ausdruck persönlicher Frustration verstanden wissen wollen. Der SZ-Schreiber holt sich Schützenhilfe beim einem Beitrag von Nick Carr aus dem Jahr 2005, um seine eigentliche Botschaft zu stützen. Die etablierten Medien seien aufgrund ihrer bewährten Mechanismen dem Graswurzel-Journalismus und allen partizipatoren Formen der Meinungsäußerung überlegen:

Die etablierten Medien verfügen über rigide Aufnahmeverfahren und praktizieren bei journalistischem Fehlverhalten im besten Fall Sanktionierungen. Es darf also eben nicht jeder überall mitschreiben – und der, der schreibt, macht dies nie unbeobachtet und zum Beispiel auf der freien und anonymen Wildbahn der Wikipedia, die so einfach anzuklicken ist und wohl auch deshalb vor Fehlern strotzt.

Selbst wenn man diese hehren Ansprüche nur auf Qualitätszeitungen anwendet, dürften sie diesen kaum (mehr) genügen. Aber der Autor scheint gänzlich vergessen zu haben, was die Boulevard-Zeitungen und das Unterschichtsfernsehen Tag für Tag verbreiten, ohne nennenswerte Konsequenzen befürchten zu müssen. Gegen die dort anzutreffende Infamie und Ahnungslosigkeit erscheint die Lust an der Entrüstung geradezu tugendhaft.

Und welchen von den Medien gestifteten Diskurs sollen denn die Freizeitaktivisten kaputt trampeln? Jenen zwischen den Kommentatoren von Zeitung und Fernsehen? Oder jenen zwischen Redakteur und geneigtem Leser, der sich mittels Leserbrief artikuliert und froh sein muss, wenn eine stark gekürzte Fassung abgedruckt wird? Graff dürfte an diese Idylle, die es nie gegeben hat, wohl kaum glauben. Wahrscheinlich vertraut er eher auf die Lust der Entrüstung und hofft, Blogger zu Reaktionen auf seine abgedroschenen Vorurteile provozieren zu können. Angesicht der x-ten Geringschätzung von schreibenden Amateuren dürfte dies immer weniger gelingen. Da braucht es schon mehr als „ergoogeltes Wissen“, das um Jahre zu spät kommt.

Siehe auch:

Die Süddeutsche entdeckt das Web 2.0
Die Süddeutsche labert über den Long Tail
Web 2.0: Der Triumph der Amateure
Der Spiegel führt trostlose deutsche Debatte über Web 2.0 fort

Kategorie: Medien und Web-Dienste 2 Kommentare »

2 Antworten zu “Das SZ-Feuilleton bekräftigt seine Web-Inkompetenz”

  1. Nach einer ersten Erregung über diesen Stuss in Deutschlands größter Qualitätszeitung hab ich auch auf die „Lust der Entrüstung“ getippt. Klar, der SZ tut das Web immer stärker weh. Warum sollte sie also nicht versuchen, auf dem Weg der Provokation die Leute ins Web zu lotsen.

    Was allerdings dagegen spricht, ist zum einen die erwiesene Ahnungslosigkeit von Leuten wie Graff und Co., die in der SZ seit mehr als 10 Jahren ausser Lästertiraden über pickelige IT-Fuzzies kaum je substanzielles über die Kulturrevolution IT/Internet abgelassen haben.

    Was noch dagegen spricht ist, dass diesen Leuten die niedere Welt ausserhalb des Elfenbeinturms so dermassen fremd ist, dass sie diese Kurve zu neuen Formen der Kommunikation und des Diskurses wohl nicht mehr kratzen (und das wohl auch ahnen).

    Was auch noch dagegen spricht ist, dass SZ.de nun Sperrstunden für Kommentare im Web eingeführt hat. Das macht nur jemand, der auch noch den allerletzten Beweis seiner völligen Web-Inkompetenz erbringen wollte.

  2. […] dieser Konsequenz aber ist es bei SZ und Co. offenbar nicht so weit her, wenn man noch einmal die Geschehnisse der letzten Tage rund um die Anti-Internet-Polemiken in der SZ und der FAZ Revue passieren […]